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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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Dunkel und tief.
    Kein Hund, etwas Größeres. Etwas Bedrohlicheres.
    Der Mann stieß Rachel vor sich her, so dass sie fast gestolpert wäre.
    Sie kamen in einen runden Raum mit hoher Decke und einem Durchmesser von sieben bis acht Metern. Wie überall hier bestanden die Wände aus roh gemeißeltem Felsgestein, falls es sich nicht um einen ausgetrockneten unterirdischen Fluss handelte. Sei doch nicht blöd! Dies ist kein natürlicher Ort, es ist die Hölle, und die Kreaturen haben sie in den Stein gehauen.
    Der Mann warf ihr ein Paar Handschuhe ins Gesicht.
    »Du kannst sie anziehen, wenn du dir nicht deine Hände ruinieren willst.«
    Rachel beobachtete ihn. Er bückte sich, hob eine Kette auf und legte sie ihr um das Fußgelenk. Sie ließ es geschehen. Was hätte sie auch anderes tun können? Die Kette war an einem im Stein eingelassenen Haken befestigt und ließ ihr genügend Freiraum, um die Wand gegenüber zu erreichen, nicht aber die Tür.
    Der Mann nahm eine Spitzhacke und warf sie Rachel zu.
    »Von jetzt an hackst du. Das wird dir gut tun. Und denk nicht an dein Kind. Du hackst, bis du nicht mehr kannst, dann kümmere ich mich um dich.«
    Er hatte den Leuchter auf einen Vorsprung gestellt, war bis zur Schwelle zurückgewichen und hatte sich mit einem irren Grinsen verabschiedet.
    Die Tür war zugefallen.
    Und alle Hoffnung war dahin …

    … Warum zwang er sie, das zu tun? Sie kam nicht von der Stelle, hatte erst ein paar lächerliche Stücke abschlagen können. Sie hatte so lange weitergemacht, bis ihre Arme und Schultern brannten. Ihr war nicht einmal die Idee gekommen, sich zu widersetzen. Als er sie abholte, musste sie die Hacke weit wegwerfen, das hatte er ihr durch den Spion zugerufen. Er hatte nichts zu ihrem lächerlichen Erfolg gesagt. Als wäre es ihm völlig egal. Was also sollte das Ganze? Bei diesem Tempo würde sie zehn Jahre brauchen, um die Grotte auch nur ansatzweise zu vergrößern. War es das, was er wollte?
    Er hatte nichts gesagt. Er hatte ihr frisches Wasser angeboten und sie zu ihrer Zelle zurückgeführt.
    Später hörte sie Schritte auf dem Gang. Sie kniete sich vor die Tür und sah die Schatten von Beinen. Von mehreren.
    Eine Tür wurde zugeknallt.
    Die einzige noch brennende Kerze in Rachels Verließ erlosch.
    Dann hörte sie das Hohngelächter der Dämonen.

26
    Den Gesetzen des Winters folgend, hatte es früh morgens wieder angefangen zu schneien. Ganz sanft und mit hypnotischer Monotonie rieselte der Schnee vom Himmel. In seine Jacke eingehüllt, wartete Brolin in dem Wagen, den er gemietet hatte. Er parkte zwischen Dahill Road und West 50th Street, etwa dreißig Meter von Shapiros Haus entfernt. Es war ein trostloses Wohnviertel, weit und breit kein Garten, nichts als graue, einfallslose Bauten, ein oder zwei Stockwerke hoch mit tristen Fassaden und Fensteröffnungen so schwarz wie Sonnenbrillen. Das Haus von Shapiro stand etwas abseits, am Ende einer Sackgasse – ein schmaler einstöckiger Bau mit vergitterten Fenstern und Stacheldraht auf dem Dach. Es grenzte an ein Brachland, auf dem ein alter, halb eingefallener Schuppen mit obszönen Sprüchen und Zeichnungen an einer Wand sein Dasein fristete.
    Es war kalt, und Brolin versuchte, mehr recht als schlecht seine Hände zu wärmen, indem er sie in seine Jackentaschen steckte, statt sie aneinander zu reiben. Er hatte absichtlich ein altes, zerbeultes Auto ausgewählt, um in einem Viertel wie diesem nicht aufzufallen, was allerdings zur Folge hatte, dass die Standheizung nicht mehr funktionierte. Brolin erinnerte sich an eine Anekdote, die sein Großvater über die Belagerung von Stalingrad im Zweiten Weltkrieg erzählt hatte. Um sich aufzuwärmen, machten die Deutschen eifrig Freiübungen und waren ständig in Bewegung. Die Russen auf der anderen Seite rührten sich nicht. Unendlich viele Soldaten des Reichs starben den Kältetod. Brolin konnte sich noch erinnern, wie sich sein Großvater zu ihm geneigt und geflüstert hatte, als handelte es sich um ein Geheimnis: »Die Russen wussten nämlich, dass sich die Luftschicht zwischen ihrer Haut und ihren Kleidern durch die eigene Körperwärme aufheizen würde, wenn sie sich möglichst wenig bewegten. Die Deutschen dagegen mit ihren ständigen Übungen ließen kalte Luft in diesen Zwischenraum eindringen.«
    Die Arme fest an den Oberkörper gepresst, konzentrierte sich Brolin darauf, die Temperatur von besagter Thermoschicht zu erhöhen, und starrte dabei auf die Sackgasse. Shapiros

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