In Blut geschrieben
mir schon dachte.«
Annabel war sprachlos. Dieser Joshua Brolin war einfach verblüffend.
»Ich habe Lucas Shapiro heute Morgen einen Besuch abgestattet. Er hat mich auf die Spur von James Hooper gelenkt, einem Pädophilen, der noch im Knast sitzt. Er hat mich zum Narren gehalten.«
Brolin hatte lange über diese Begegnung nachgedacht. Die »Momentaufnahme«, die er von Shapiro gemacht hatte, zeigte einen komplizierten Typen voll aufgestautem Zorn und einem Lächeln, das viel zu freundlich war, um ehrlich zu sein, wenn man sein anfängliches Verhalten berücksichtigte. Shapiro hatte die Gefahr gewittert und es vorgezogen, den Verdacht auf jemand anderen zu lenken. Das hatte Brolin natürlich nicht sofort durchschauen können. Anfangs hatte er Shapiro nur für etwas eigenartig gehalten, doch das war verständlich bei jemandem, der acht Jahre wegen Vergewaltigung und ein Jahr wegen Einbruchs gesessen hatte und plötzlich einem Privatdetektiv gegenübersteht, der ihm Fragen stellt. Der Name Janine Shapiro war das fehlende Teil in dem Puzzle gewesen.
Annabels Stimme riss ihn aus seinen Gedanken, sie schien gekränkt.
»Wenn Sie das alles schon wussten, was sollte dann dieses Ratespiel?«
»Hätte ich meinen Vorschlag einfach so aus dem Hut gezaubert, dann hätte er Sie schockiert. Besser, man geht stufenweise vor. So haben Sie die Treppe ganz allein erklommen, und ich war nur da, um Sie am Ellenbogen zu führen.«
Verdammt! Du hast mich zum Narren gehalten, jawohl!
Annabel schluckte ihre Wut hinunter, die völlig ungerechtfertigt war. Er hatte alles mit ihr geteilt, und sie fühlte sich herabgesetzt, war neidisch, weil er so clever war. Sie waren nur arme, auf die Schnelle an der Polizeischule ausgebildete Cops, während er die wichtigen Hinweise fand. Er arbeitet auf einer anderen Ebene, vergiss das nicht!
»Das ist Ihrer Arbeit zu verdanken. Sie sammeln die Fakten, und ich extrapoliere.«
»Ich sage Ihnen, was ich denke: Ich bin völlig verrückt, auf Ihr Spiel einzugehen, doch wenn ich es tue, dann weil Sie nicht hinter meinem Rücken agiert haben, weil Sie ehrlich mir gegenüber sind. Sie waren Polizist, also kennen Sie die Regeln der Vorsicht. Shapiro wird morgen nicht zu Hause sein, gut, aber machen Sie nicht zu viel. Sie verschaffen sich Zugang, Sie durchsuchen alles, und wenn Sie nichts finden, was Sie interessiert, dann verschwinden Sie genauso schnell wieder, damit wir übernehmen können. Was genau hoffen Sie zu finden?«
»Mörder dieser Art richten sich gern ein geheimes Versteck ein; sie halten ihre Opfer oft gefangen.«
Er wandte das Gesicht ab und sah zum Innenhof hinaus.
»Um ehrlich zu sein, hoffe ich, Menschen zu finden. Lebende.«
25
Die Dämonen bewachen das Heiligtum.
Sie waren ständig da, ganz nah, kauerten an den Mauern der Flure. Denn die Hölle ist groß, sehr groß. Und sie ist nicht nur von Schreien bevölkert, sondern auch von Dämonen.
Das hatte Rachel am eigenen Leib erfahren müssen. Der Kerl mit den grauen Zähnen und den funkelnden Augen hatte sie abgeholt. Er hatte die Tür weit geöffnet.
»Los, beeil dich«, hatte er gesagt, als würde er zu einem Hund sprechen.
Rachel hatte nicht protestiert. Sie hatte nicht mehr den Mut dazu. Sie war ihm gefolgt …
… Der Flur war, wie die Zelle, in den Fels gehauen, weit, sehr weit unter der Erdoberfläche. Der Mann hielt einen Kerzenleuchter in der Hand und entzündete damit eine Fackel, die an der Wand befestigt war. Die Flamme schlug hoch, und Rachel sah, dass es sich bei der Halterung um einen Knochen handelte. Ein langer Knochen zweifelhaften Ursprungs. Er stammt von einem Menschen, das weißt du genau!, hatte sich das junge Mädchen zornig gesagt.
Er stieß sie in den Flur, ein paar Stufen hinunter. Alle fünf Meter hielt er an, um eine weitere Fackel, ebenso grauenhaft wie die erste, zu entzünden.
Und dann waren sie da.
All die Dämonen.
Sie waren im Gestein versteckt. Ihre glänzenden Schädel traten aus dem Fels hervor, ihre Körper beherbergten Dutzende von pelzigen Spinnen. Es waren nicht wirklich Skelette, dessen war sich Rachel sicher. Die Schädel drehten sich, als sie vorüberging, lauerten gierig mit ihren finsteren Augenhöhlen. Es waren Dämonen.
Und dann das Klirren der Ketten, das aus der Ferne zu kommen schien, unzählige Metallglieder, die aneinander schlugen. Und das Stöhnen von Männern und Frauen. Fern, flehend. Bisweilen ein Schrei.
Weiter hinten, in einem anderen Stollen, ein Knurren.
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