In Blut geschrieben
anderen Türen führten zur Kellertreppe, zu einer Abstellkammer und zur Toilette. Brolin durchsuchte die beiden Räume, ohne sich viel davon zu versprechen, und richtete dann den Strahl seiner Lampe auf das schwarze Kellerloch und die Stufen.
Wenn sich Shapiro wie die meisten Serienkiller verhielt, hatte er sich irgendwo ein kleines persönliches Versteck eingerichtet, in dem er den Harem seiner Sexsklaven untergebracht hatte. Und zwar vermutlich in einem fensterlosen Kellerraum. Brolin sah hinab in den schwarzen Schlund, der ihn erwartete. Die ersten Stufen waren aus Holz, die folgenden nicht mehr zu erkennen.
Er musste hinuntergehen.
*
Annabel trommelte nervös mit den Fingern auf das Armaturenbrett. Von Zeit zu Zeit schaltete sie den Scheibenwischer ein, um den Schnee beiseite zu schieben. Sie war ganz auf die drei Straßen konzentriert, aus deren Richtung Gefahr drohen könnte. Bliebe Lucas Shapiro seinen Gewohnheiten treu, hätten sie eine gute Weile nichts zu befürchten, doch ein unerwarteter Zwischenfall reichte, und sein Lieferwagen würde plötzlich auftauchen.
Annabel warf einen Blick auf die Uhr – 12:31. Noch eine halbe Stunde bis zur möglichen Rückkehr des Mörders.
Des mutmaßlichen Mörders, korrigierte sie sich.
Brolin gab kein Lebenszeichen, doch sie beschloss, ihn nicht zu stören, er war sicher ganz auf seine Arbeit konzentriert.
Trotzdem quälte sie eine böse Vorahnung, seitdem er in dem Haus war. Eine idiotische kleine Stimme, die einem einflüsterte, dass alles schief gehen würde und man sich sofort aus dem Staub machen müsste, ein Blödsinn, auf den man nicht hören durfte, sagte sich Annabel immer wieder. Du hast einfach nur Angst, also suchst du nach einem Vorwand, um möglichst schnell zu verschwinden. Das ist wirklich nicht der richtige Augenblick, um deinen Hirngespinsten nachzuhängen. Konzentrier dich lieber etwas mehr auf die Straße.
Sie kämpfte noch fünf Minuten mit sich, bis sie schließlich vor ihrer fixen Idee kapitulierte. Sie rutschte auf den Fahrersitz und ließ den Wagen an. Gegenüber von Shapiros Haus hatte sie einen idealen Platz entdeckt, so könnte Brolin das Auto schneller erreichen, falls etwas schief ginge.
Annabel parkte das alte Auto, so dass es jetzt in Fahrtrichtung stand.
Sie sah wieder auf ihre Uhr. 12:40.
*
Im Keller fand er ein vollständiges Chaos vor, staubige Müllsäcke waren wahllos aufeinander gestapelt, er würde mindestens ein Wochenende brauchen, um das ganze Zeug zu untersuchen. Brolin hatte die Runde gemacht, auf der Suche nach eventuellen Hohlräumen alle Wände abgeklopft und die wenigen Möbelstücke beiseite gerückt, um eine Geheimtür zu finden. Nichts. Neben dem Heizkessel war aus Gipsplatten eine Wand hochgezogen worden, so dass eine kleine Kammer entstanden war. Vor dem Eingang war mit Klebeband ein rotes Wachstuch befestigt, das teilweise abriss, als Brolin es zur Seite schob.
Der gelbe Kegel seines Leuchtstifts bohrte ein Loch in die dichte Finsternis: Ein Raum von kaum zwei mal zwei Metern, Regale voller Plastikflaschen und Pappschachteln …
Etwas streifte seinen Kopf – ein Gefühl, als würde ihm ein Insekt übers Haar laufen.
Brolin wich zurück und richtete den Strahl des Leuchtstifts auf eine Nylonschnur mit einer Wäscheklammer daran, die seinen Kopf berührt hatte.
Er wandte sich wieder den Flaschen und Schachteln zu: Kodak, Agfa, ein Entwicklungsgerät Marke Konica, Vergrößerer, Spülbecken, Entwicklerschalen. Ein Hobbyfotolabor. Er schaltete die Beleuchtung ein, und die Glühbirne unter der Decke verbreitete ein gedämpftes rötliches Licht. Na bitte! Blitzschnell jagten seine übererregten ^Synapsen die elektrischen Signale durch alle Nervenbahnen, als er die Schachteln öffnete und ihren Inhalt auf den Kacheln ausbreitete. Fehlanzeige. Das Papier war noch unbenutzt.
Er räumte alles wieder ein und kehrte, einen Stich im Herzen, ins Erdgeschoss zurück. Es gab keinerlei Hinweis auf Freiheitsberaubung und keine Indizien gegen Shapiro. Er hatte fest damit gerechnet, etwas zu finden, und war jetzt in größter Sorge. Wenn die Spur Shapiro ins Leere führte, könnte er seine Hoffnung, etwas über Rachel Faulet herauszufinden, vorerst begraben. Er hatte sich bisher ganz auf sein Talent und sein Glück verlassen. Wenn sich sein Verdacht hier jedoch nicht bestätigte, müsste er wieder bei null anfangen.
Er musste sich beeilen, die Zeit drängte, es war schon nach halb eins.
Brolin stieg in den ersten
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