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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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Nichts.
    Zu ihrer Linken lief das Kühlsystem auf Hochtouren. Führe in diesem Augenblick ein Auto auf den Hof, würde sie es nicht einmal hören.
    Wo steckte Brolin nur?
    Sie griff nach ihrem Jackenkragen, zog das daran befestigte Mikro zum Mund und flüsterte: »Brolin, hören Sie mich? Wo sind Sie? Wir müssen schleunigst verschwinden. Ich suche Sie gerade in der Garage. Falls Sie mich hören können, ich gehe jetzt zum Wagen zurück, klar?«
    Eine durch den schlechten Empfang verzerrte Stimme antwortete etwas Unverständliches. Die isolierten Garagenwände, dachte sie. Und die super Ausrüstung der New Yorker Polizei!
    »Ich gehe zurück«, wiederholte sie.
    Sie wandte sich zu der Tür um.
    Doch schon nach dem ersten Schritt hielt sie inne.
    Plötzlich überkamen sie Zweifel. Sie versuchte, die Entfernung abzuschätzen, die sie vom Ausgang trennte, und drehte sich dann zur hinteren Wand um. Von außen betrachtet, war ihr die Garage länger vorgekommen. Viel länger.
    Sie bewegte sich vorsichtig bis zur Rückwand und tastete sich daran entlang. Dabei fielen ihr schwarze halbkreisförmige Spuren auf dem Bodenblech auf. Die metallenen Kältedämmplatten an den Wänden waren zwei Meter breit, das entsprach der Bogenweite der Spuren auf dem Fußboden. In der Ecke entdeckte Annabel den Öffnungsmechanismus: ein kleines Rad, an dem sie drehte. Lucas Shapiro war ein guter Bastler, aber kein genialer Architekt; er hatte seine Installation so angebracht, dass sie zwar versteckt, aber nicht unauffindbar war.
    Die Flügel öffneten sich geräuschlos.
    Dahinter nichts als Dunkelheit.
    Annabel trat ein, blieb aber zunächst im Lichtkreis der Deckenbeleuchtung hinter ihr stehen. Auf einem Regal an der Seite lagen Cyalume-Leuchtstäbe. Sie nahm einen, riss die Plastikverpackung auf und knickte ihn, so dass das chemische Neonlicht blau aufleuchtete. Annabel kam sich vor wie ein Jedi-Ritter mit einem winzigen Laser-Schwert. Der Vergleich entlockte ihr ein Lächeln, das aber abrupt erstarb.
    Sie hob den Stab, und das Geheimzimmer war in saphirblauen Dunst getaucht.
    Plötzlich sah sie es vor sich. Ein grauenvolles, von einem tonlosen Schrei verzerrtes Gesicht.
    Nur zehn Zentimeter von den hervorquellenden Augen entfernt, schrie Annabel auf. Die Tote mit dem ausgerenkten Kiefer tat es ihr gleich.
    *
    Brolin zählte siebenundsechzig Fotos.
    Doch es fehlte das von Spencer Lynchs letztem Opfer Julia Claudio, der jungen Frau, die noch im Krankenhaus lag. Ihr Foto war bei dem ersten Mörder gefunden worden. Hier musste es also ein weiteres Opfer geben, das den Ermittlern bislang noch unbekannt war.
    Die Schiebewand verbarg ein gut einen Meter breites Mauerstück, das fast vollständig mit den makaberen Bildern bedeckt war, über denen man versucht hatte, einen mit schwarzer Tinte geschriebenen Spruch zu entfernen. Brolin stieg auf den Schreibtischstuhl, um die Buchstaben zu entziffern, die durchscheinend waren, als stünden sie auf einem in Wasser getauchten Blatt Papier.
    CALIBAN
    Dominus noster

    Weiter brauchte er nicht zu lesen, um den Psalm zu erkennen, von dem Annabel gesprochen hatte. Caliban dominus noster … Das stand dort geschrieben. Nichts Neues. Doch daneben waren mit einer Heftzwecke zwei Blätter befestigt. Auf dem ersten Blatt fand er eine Liste mit Namen – nur von Frauen. Die Position sechzehn war größer geschrieben, die von acht bis fünfzehn durchgestrichen. Die Auflistung seiner Opfer. Er zählt sie wie ein Sammler.
    Hinter seinem Rücken verbreitete der Kassettenrekorder seinen Horror. Jetzt konnte das Mädchen nicht mehr normal atmen, so stark war der Schmerz. Es war eine Mischung aus Todeskampf, ersticktem Ringen nach Luft und Krämpfen. Fast wie eine Entbindung, die schlecht verlief. Sehr schlecht.
    Brolin schluckte und legte den behandschuhten Zeigefinger auf das andere Blatt, dasselbe Gekrakel wie die Notizen auf Shapiros Schreibtisch. In Großbuchstaben das Wort TEMPEL , dann ein Pfeil zu den Initialen I.dW., gefolgt von einem Fragezeichen.
    Darunter der Satz: »3000 $/6 Monate. Materialbeschaffung.«
    Die Sekte hatte einen Ort für ihren Kult gefunden.
    Shapiro hatte mit seiner Kinderschrift auch ein winziges Schema geschrieben.

    Die Bestätigung, dass es sich, wie die Fotos hatten vermuten lassen, um drei Mitglieder handelte. Dass Bob in der Mitte steht, ist kein Zufall, dachte Brolin, er ist der Anführer.
    Er stellte sich vor, wie solche Zeremonien geartet waren, vertrieb die abscheulichen Bilder aber

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