In Blut geschrieben
denn diese Typen bereiten sich sorgfältig vor, überlassen nichts dem Zufall. Doch etwas ganz anderes gibt mir zu denken. Nach Ihren Angaben besteht keine Gemeinsamkeit – bis jetzt – zwischen den Opfern, und auch der Versuch, sie zu Gruppen zusammenzufassen, lässt keinerlei Verbindung erkennen. Wir schließen daraus, dass die Caliban-Sekte, nennen wir sie einfach mal so, ihre Opfer nach Gemeinsamkeiten auswählt, die nur ihnen bekannt sind. Gehen wir doch die chronologische Liste der Entführungen noch einmal durch.«
»Die erste Entführung war im Juli 1999. Eine Frau, vierundzwanzig Jahre alt, die in New Jersey lebte. Es folgen zwei weitere im September 1999, ebenfalls zwei Frauen, einundzwanzig und achtundzwanzig. Die eine lebte in New Jersey, die andere im Staat New York.«
Im gedämpften Licht des Apartments leuchteten Brolins Augen fast beunruhigend.
»Fahren Sie fort«, sagte er, »aber ohne die Ortsangaben, die interessieren uns jetzt nicht.«
»Ende 99, vier Personen verschwinden, immer Frauen.«
»Wie alt?«
»Moment … Ah, hier: neunundzwanzig, neunzehn, vierundzwanzig und einunddreißig.«
»Weiter.«
»Januar, jetzt sind zwei Männer und eine Frau an der Reihe, fünfundzwanzig, zweiundzwanzig und sechsundzwanzig Jahre alt. Nichts mehr bis März 2000. Doch wir haben noch nicht alle identifiziert. Also März, zwei Entführungen, diesmal zwei Jugendliche, siebzehn und sechzehn. Sie waren zusammen, zwei Freunde.«
Annabel blickte von ihrem Bericht auf. Wollte Brolin, dass sie fortfuhr?
»Im April eine Entführung, eine Siebzehnjährige. Nichts mehr bis Juni, da holen sie aber die verlorene Zeit wieder auf: fünf Personen, drei Männer und zwei Frauen.«
»Wie alt?«, fragte Brolin knapp.
»Einundvierzig, siebenundvierzig, achtunddreißig, vierundvierzig und … neununddreißig«, schloss sie die Aufzählung und hob erneut leicht den Kopf.
Die Erkenntnis, die sich langsam abzeichnete, durchzuckte sie wie ein Stromstoß.
Brolin wandte den Blick nicht von ihr, lauerte auf den richtigen Moment. Er nickte.
»Haben Sie es? Die Sekte sucht ihre Opfer nach Gruppen aus, die sie nach Alter und Geschlecht festlegen. Sie haben mit Frauen zwischen zwanzig und dreißig angefangen, dann zwei Männer etwa im gleichen Alter. Danach nehmen sie sich vorübergehend Jugendliche vor. Dann Ältere.«
»Glauben Sie, dass …«
Doch sie wusste, dass er Recht hatte.
»Wie konnten wir das nur übersehen?«
»Zuerst einmal, weil Sie sich auf die Ereignisse, auf das Leben der Opfer und nicht auf ihre Charakteristika konzentriert haben. Dann, weil die Caliban-Sekte mit der Zeit die strikte Einhaltung dieser Regel gelockert hat. Ab Herbst 2000 nehmen sie alles, ohne Unterschied, junge und alte Menschen, männlich und weiblich. Trotzdem, schauen Sie Ihre Akten noch einmal durch: Auch bei den Opfergruppen, die sie anfangs noch hatten, gibt es eine Unterteilung. Als sie mit den Entführungen begannen, waren es junge Frauen zwischen zwanzig und dreißig, ungefähr jedenfalls. Zuerst Weiße, dann holen sie sich eine Asiatin und schließlich eine Afroamerikanerin. Die gleiche Reihenfolge haben wir bei den Männern. Sie haben die Vorgehensweise mehrfach wiederholt, dabei wurden weiße Frauen und Afroamerikanerinnen von ihnen offensichtlich bevorzugt.«
»Warum tun sie das?«
Brolin zuckte wieder mit den Schultern.
»Das wäre die Lösung unseres Problems! Herauszufinden, warum sie es tun, und wer sie sind.«
Annabel ließ den Blick noch einmal über die Fotos an der Wand gleiten und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Ich weiß nicht, ob das eine Spur ist, aber einer meiner Kollegen hat bereits bemerkt, dass es keine älteren Menschen unter den Opfern gibt. Kinder, Jugendliche, aber niemand über fünfzig.«
Brolin hob den Zeigefinger, als wollte er die Bedeutung ihrer Ausführung unterstreichen.
»Ja, wir müssen jetzt herausfinden, warum. Was kann ein älterer Mensch nicht, was ein Kind oder Jugendlicher kann? Warum gehen sie bis fünfundvierzig, fünfzig Jahre, aber nicht darüber? Wir wissen jetzt, dass die Sekte ihre Opfer sehr sorgfältig nach bestimmten Kriterien ausgewählt hat: Alter, Geschlecht und Rasse. Nach über einem Jahr legen sie diese strikte Regel ab. Warum?«
Beide starrten auf die siebenundsechzig Gesichter, die sie anflehten, die Antworten so rasch wie möglich zu finden. Annabel fiel der besorgte Blick des Exprofilers auf.
»Stimmt etwas nicht?«
Er hob sofort den Kopf.
»Ich habe
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