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In Blut geschrieben

In Blut geschrieben

Titel: In Blut geschrieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maxime Chattam
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eine ungute Vorahnung.«
    »Eine Vorahnung, Sie?«
    Brolin schüttelte den Kopf, öffnete zögernd den Mund, fand aber nicht die passenden Worte.
    »Ihre Kollegen haben es in ihrem Bericht betont«, sagte er schließlich. »Mehrere Opfer kannten sich. Zu wenig natürlich, um das als Gemeinsamkeit zu werten, natürlich. Anfangs waren es zwei Jungs, die zusammen vom Training kamen, dann verschwanden zwei Schwestern. Verwirrend daran ist, dass sie im Abstand von drei Wochen entführt wurden.«
    »Das weiß ich alles, ich habe die Akten gelesen. Ich bin Ihrer Meinung, diese genaue Organisation macht mir Angst, aber …«
    Er richtete einen flammenden Blick auf sie, der im krassen Gegensatz zu seinem undurchdringlichen Gesichtsausdruck stand.
    »Und schließlich der achtjährige Junge, der im letzten August verschwunden ist, und im September dann seine Mutter. Das zeigt doch eine echte Entwicklung.«
    Nach einer kurzen Pause fügte er etwas leiser hinzu: »Wenn Sie diese Theorie weiterentwickeln, erkennen Sie dann, wohin sie führt? Wie sieht der nächste Schritt aus?«
    Annabel runzelte die Stirn. Zuerst vorwiegend Unbekannte, dann Freunde, zwei Schwestern, dann Sohn und Mutter, und dazwischen immer wieder Menschen, die sich nicht kannten. Nein, ehrlich, sie konnte nicht erkennen, wohin das alles führte. Reine Zufälle konnten es nicht mehr sein, aber …
    Nachdenklich legte sie die Hand an den Mund.
    »Mein Gott … Eine Familie! Sie werden sich eine ganze Familie aussuchen!«
    »Genau darauf scheint ihre Logik hinzudeuten.«
    Brolin wich bis zum Schaukelpferd zurück und trat in den Schatten.

31
    Raureif bedeckte die Windschutzscheibe, und ganz allmählich überzog ein zarter Kristallschleier die Grünflächen des Viertels.
    Der Mann, der seit mehreren Stunden in dem kalten Auto saß, sah auf die Uhr. Kurz nach eins. Die ersten beiden Stunden des Wartens waren noch angenehm gewesen, er hatte mit seiner Fantasie gespielt, vor seinem inneren Auge ganze Filme ablaufen lassen, was er mit der Frau, die hier wohnte, tun wollte. Und auch mit ihrer Tochter. Er hatte geträumt, sich dabei über die Wange gestrichen und dann seinen Penis durch die Hose geknetet. Nach zwei Stunden konnte er der Lust zu masturbieren kaum mehr widerstehen, er musste sich jedoch auf seine Arbeit konzentrieren. Keine Ablenkung also. Solche Operationen mussten perfekt geplant und ausgeführt werden, mit klarem Kopf. Die Vorbereitungen nahmen viel Zeit in Anspruch.
    Zuerst musste das Opfer ausgesucht werden.
    Natürlich musste es den aktuellen Anforderungen entsprechen, doch das war eine andere Geschichte, obwohl er schon seit einiger Zeit die Neigung verspürte, nicht mehr zu sehr zu variieren. Doch gerade die heutige Nacht sollte eine neue Erfahrung sein.
    Wenn die Anforderungen erst einmal feststanden, war es nicht mehr schwierig, die geeignete Person auszusuchen. Man brauchte nur genug Geduld, um den Gewohnheitsmenschen ausfindig zu machen. Denn wir sind alle, früher oder später, verwundbar, vor allem dann, wenn Routine im Spiel ist. Zunächst musste man sehr lange beobachten, wer in einem bestimmten Haus wohnte, welche Gewohnheiten die Person hatte … Es war hilfreich, die Müllsäcke zu entwenden und den Inhalt zu Hause in aller Ruhe zu untersuchen, um das Privatleben des Zielobjekts genau kennen zu lernen. Das alles konnte manchmal mehrere Wochen in Anspruch nehmen. Wenn es wirklich zu gefährlich erschien, einen Angriffsplan in die Tat umzusetzen, musste man sich leider nach einem anderen Opfer umsehen. Doch das kam glücklicherweise nicht oft vor, denn, es sei hier wiederholt, wir sind alle verwundbar.
    Und der Mann in seinem Auto lebte nur dafür.
    Es gefiel ihm, seine kleine Rede zu wiederholen: Wir sind alle früher oder später verwundbar. Bei einer allein stehenden Person kann sich nachts, wenn sie schläft, leicht jemand einschleichen, nur selten hält ihn ein Schloss davon ab. Lebt sie nicht allein, gibt es dennoch Augenblicke der Einsamkeit und damit ein gewisses Maß an Verwundbarkeit. Manchmal ist diese sehr groß, dann genügt es, die Gewohnheiten eines Menschen zu kennen. Besonders günstige Gelegenheiten bieten sich spätabends oder frühmorgens, wenn das Opfer noch nicht richtig wach ist, in der Tiefgarage, wo es allein ist, auf dem nächtlichen Heimweg vom Sporttraining oder von einer Sitzung, beim Joggen im Park, beim mitternächtlichen Abholen des Kindes von einem Freund. Oder an einem Wochentag, an dem keine Nachbarn zu

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