In Blut geschrieben
Hause sind und man dem vermeintlichen Stromableser der Stadtwerke die Tür öffnet. Ein paar Sekunden genügen. Höchstens eine Minute. Es gibt bei jedem Menschen einen Moment, in dem seine Wachsamkeit nachlässt. Und ein schlauer, disziplinierter und erfahrener Typ weiß sofort, wann und wo er zuschlagen kann. Und schon ist es zu spät.
Das sonst so undurchdringliche Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, und im Geist fügte er hinzu: Er kann überall lauern, bei jedem eurer Schritte. Und ihr habt keine Ahnung.
Es war eine gute Zusammenfassung seiner Vorgehensweise, die er seinen Gefährten eingeschärft hatte. Sie waren nicht alle auf dem gleichen Level, genau das war ja das Problem. Wären sie alle gewesen wie er, gäbe es jetzt nicht diese Probleme. Und schon mischten sich die Bullen ein. Das alles war Spencer Lynchs Schuld. Er war ein Missgriff, er war zu blöd, kapierte überhaupt nichts. Dieser Idiot interessierte sich doch nur fürs Vögeln. Er entführte, um zu foltern, zu vergewaltigen und zu töten, das war alles. Er hatte einfach keine Ahnung. Zum Glück war er nicht eingeweiht, er wusste nichts von den anderen, von ihren Vorgehensweisen, ihrem Ziel. Lucas hatte den Falschen rekrutiert.
Lucas. Was war von ihm zu halten? Die Bullen vom Big Apple behaupteten seit heute Nachmittag, Lucas wäre bei einer internen Abrechnung umgekommen. Abrechnung mit wem? Das war doch albern! Es war einer von diesen unfähigen Trotteln, der ihn erwischt hat! Und nun versuchten sie, ihren Fehler zu vertuschen! Aber im Grunde war es so am sichersten, Lucas hätte zwar nicht ausgepackt, aber man weiß ja nie. Und seine Schwester? Janine wurde gerade verhört. Sie war keine von denen, die reden würden, außerdem wusste sie nicht viel, nichts, was ihn belasten konnte. Lucas war nicht so dämlich gewesen, ihr alles zu erzählen. Sie hatte zu gehorchen, basta.
Ein paar Minuten lang war der Mann im Auto besorgt. Das alles roch faul. Und wenn es nun ein kluges Köpfchen bei den Bullen gab? Dann könnten sie ihm auf die Spur kommen, dann wüssten sie auch, wo sie zu suchen hatten. Du überschätzt sie, mein Lieber! Auf jeden Fall hatte er eine kleine Warnung vorbereitet, um ihren Eifer zu bremsen. In den Pressekonferenzen hieß es, dass die ganze Sache durch den Scharfsinn von Detective O’Donnel ausgelöst worden sei. Er wusste, an wen er sich zu wenden hatte …
Er versuchte, sich erneut zu konzentrieren. Bald war es Zeit.
Er beugte sich vor, um das ganze Haus sehen zu können. Seit zwei Stunden war alles dunkel. Kurz darauf war auch bei den Nachbarn das Licht erloschen. Alles war ruhig. Er wurde erwartet.
Er zog die Handschuhe an, setzte den Rucksack auf und trat in die Nacht hinaus.
Bei jedem Schritt zum Haus durchfluteten ihn berauschende Wellen der Erregung. Einmal, bei einem anderen Mädchen, war die Hintertür offen geblieben, die Bewohnerin hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, einen Riegel vorzuschieben. Es war das reinste Kinderspiel gewesen. Ein anderes Mal hatte er geplant, sich einen Jungen zu schnappen, wenn dieser sich wie jeden Samstag mit seinen Freunden im Kino treffen wollte. Als er entdeckte, dass seine Mutter ihren Schlüssel unter einem Stein versteckte, hatte er seine Pläne geändert. Auch da war es ein unglaubliches Vergnügen gewesen, mitten in der Nacht ein Kind zu entführen, direkt neben der schlafenden Mutter.
Geräuschlos betrat er den Garten.
Es war sinnvoll, nach Möglichkeit Häuser ohne Hund auszusuchen. Wenn es nicht anders ging, musste man den Köter vorher vergiften, das Übliche eben, obwohl es Verdacht erregen konnte. Und er schlug lieber zu, wenn niemand damit rechnete.
Er brauchte nicht länger als zwei Minuten, um sich bei den Springs Einlass zu verschaffen. Er dachte an die beiden Kinder, die hier wohnten. Er verzog das Gesicht, als er sich murmeln hörte: Sie blühen hübsch, diese kleinen Knospen hier. Na, ihr kleinen Freudenknospen … Aus seiner Kehle drang ein leises, fast feistes, sofort ersticktes Lachen.
Mit der Taschenlampe in der Hand durchquerte er das Wohnzimmer und stieg geräuschlos die Stufen zu den Schlafzimmern hinauf. Zuerst wollte er sich um die Tochter kümmern, sie hatte ein eigenes Zimmer. Dann die Eltern. Der Sohn konnte warten, abgesehen von seinen Schreien stellte er keine Bedrohung dar. Es war die Nacht von Donnerstag auf Freitag, und jeden Donnerstagabend spielte der Vater dieser braven Familie mit seinem Kollegen Squash. Er kam gegen
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