In Blut geschrieben
gut, deshalb rennt er los, danach beruhigt er sich wieder. Machen Sie sich keine Gedanken.«
Sie eilten im Sturmschritt die Allee hinunter und steuerten auf ein Wäldchen zu, aus dem der Lärm eines Motorrads zu hören war.
»Mister Wilkes, haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?«, fragte Annabel und zog ein Foto von Spencer Lynch aus der Westentasche.
Der betagte Mann mit den Altersflecken am Hals schüttelte den Kopf.
»Nie. Hat er etwas angestellt?«
»Ja, das kann man wohl sagen. Leben Sie schon lange hier?«
Annabel bemühte sich vor allem, Vertrauen aufzubauen, um für einige Minuten ein gewisses, wenn auch künstliches Gefühl der Zusammengehörigkeit zu schaffen.
»Schon vor Ihrer Geburt, junge Frau. Ich bin 1952 nach Clinton gekommen, nach meiner Heirat. Mir gehörte die Tankstelle, die früher an der Zufahrt zur Stadt lag. Nicht die, die man heute sieht, meine war näher am Zentrum. Aber im Laufe der Jahre ist Clinton gewachsen, dem musste man Rechnung tragen.«
Der Labrador sah sich ein letztes Mal nach ihnen um, bevor er im Wald verschwand, aus dem das Aufheulen eines Motorrads zu hören war.
Wilkes wirkte wie ein Mann, der schon lange allein lebt. Annabel hätte es nicht erklären können, doch sie war sich ganz sicher. Sie vermied es daher, auf seine Frau zu sprechen zu kommen.
»Sie stammen nicht aus dieser Gegend?«
»Oh, nein! Ich bin in Arkansas geboren und in Georgia aufgewachsen.« Er sah Annabel an, ein spöttisches Lächeln umspielte seine Lippen. »Lauter Farmer-Staaten! Ich bin alles andere als ein Stadtmensch.«
Annabel fragte sich, was er damit sagen wollte, ob er sich über sich selbst lustig machte oder die beiden New Yorker auf die Schippe nahm.
Zu dritt folgten sie dem Hund bis zum Ende des Weges am Waldrand und bogen auf einen glitschigen Pfad ein. Die beiden Detectives verstanden jetzt, warum Wilkes sich wegen ihrer Kleidung Gedanken gemacht hatte. Als sie bis zu den Knien mit Schlamm bespritzt waren, lockerte sich die Stimmung, und Annabel musste lachen. Als Gentleman half ihr Wilkes mehrmals, ein schwieriges Hindernis zu überwinden. Sie nutzte diese Gelegenheit, um ihm Fragen zu stellen.
»Gibt es in Ihrer Familie jemanden mit den Initialen J. C.?«
Er überlegte einen Augenblick, schüttelte dann ernst den Kopf.
»Nein, ich glaube nicht. Sie stellen mir Fragen über mich, als würde ich verdächtigt. Ich habe Krimis gelesen, Hammett, Chandler, ich kenne die Tricks. Und Sie sind ungemein freundlich. Also, wenn wir jetzt vielleicht zur Sache kämen. Darf ich wissen, warum ich?«
Sie standen am Fuß des Hügels, über den ein Motorrad mit Profilreifen raste. Der Fahrer war unter seinem Helm nicht zu erkennen. Als die Maschine aufheulend verschwand, begann Thayer zu erklären, warum sie hier waren.
»Nun, wie wir bereits vorhin gesagt haben, wir ermitteln in Entführungsfällen, wir suchen sozusagen Vermisste. Einer der Entführer wurde kürzlich gefasst, doch sein Boss ist noch auf freiem Fuß.«
Er zog es vor, nicht weiter ins Detail zu gehen, und fuhr fort: »Und dieser Boss hat ein Rätsel zurückgelassen, um jemanden oder etwas zu finden, das wissen wir nicht genau. Da kommen Sie nun ins Spiel.«
»Ich?«
Annabel legte dem alten Mann die Hand auf den Arm. Er war trotz seines Alters in sehr guter körperlicher Verfassung, was schon sein strammer Gang verriet.
»Ich zeige es Ihnen«, sagte sie. »Sie müssen aber schwören, das alles für sich zu behalten, es ist …«
»Sehr wichtig, ich weiß. Gut, zeigen Sie mir jetzt Ihr Rätsel?«
Annabel reichte ihm ein Blatt Papier, auf dem eine Abschrift des Originaltextes stand. Wilkes nahm eine eckige Brille aus einer seiner Taschen, las den Zettel, las ihn ein zweites Mal, verlangsamte den Schritt. »… in der Familie John Wilkes findest du JC 115. Ein kleiner Hinweis, diese Familie …«
»… diese Familie hat die Eingeweide der Welt auf ihrem Rücken getragen! Sie lebt oberhalb des Delaware …«, zitierte Annabel auswendig. »Wir haben deswegen an Pennsylvania und New Jersey gedacht, wegen der Minen, die hier früher erschlossen wurden und heute noch ausgebeutet werden. Dann hat uns die Nennung Ihres Namens hierher geführt. Ich frage Sie deshalb noch einmal, Mister Wilkes – und denken Sie bitte gut nach –, haben Sie in Ihrer Familie einen Angehörigen mit den Initialen J. C.?«
Der alte Mann blieb stehen und legte, ohne den Blick von dem Blatt zu wenden, die Hand auf die Stirn.
»Das ist ja wie
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