In Blut geschrieben
diese Idiotenspiele im Fernsehen«, kommentierte er.
Seine Lippen murmelten etwas, er blickte suchend zu den Bäumen, dachte angestrengt nach.
»Haben Sie schon mit den Leuten hier darüber geredet?«, wollte er wissen.
»Nein, glauben Sie, es könnte uns jemand helfen? Vielleicht jemand aus Ihrer Familie?«, beharrte Annabel und dachte an diesen J. C.
Wilkes pfiff dreimal nach seinem Hund und gab Annabel das Blatt zurück.
»Nein, das ist auch überhaupt nicht wichtig. Ich glaube nicht, dass Sie nach einem Mann suchen sollten«, fügte er nach kurzem Zögern vertraulich hinzu. »Es ist ein Zug.«
Die beiden Detectives starrten ihn verwundert an.
»Wer dieses Rätsel geschrieben hat, ist ein kleiner Schlaumeier«, fuhr er fort, »›in der Familie John Wilkes findest du …‹ John Wilkes ist die Bezeichnung für einen Zug, der durch New Jersey fuhr. Hören Sie, abgesehen von ein paar Kriminalromanen kenne ich mich mit Ermittlungen der Kriminalpolizei und solchen Dingen nicht aus, aber ich glaube nicht, dass ein Typ, der Menschen entführen will, sich dazu eines so komplizierten Rätsels bedient, und John Wilkes’ wie mich gibt es zu Tausenden, während nur ein einziger Zug diese Bezeichnung trägt. Den kennen in diesem Staat alle Leute in meinem Alter.«
Thayer musste schmunzeln. Ausgerechnet dieser alte Mann erklärte ihnen, wie sie ihre Ermittlungen zu führen hatten.
Es klang sehr vernünftig, was er da erzählte.
»Und J. C. 115, sagt Ihnen das etwas?«, fragte Annabel.
»Nein, aber wenn es sich wirklich um den Zug handelt, kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen. Da ist allerdings ein Bursche, mit dem ich ab und zu Schach spiele, dessen Hobby sind Züge, ganz besonders die Geschichte der Eisenbahn in New Jersey. Er wohnt in der Stadt, ich weiß nicht genau, wo, aber ich denke, dass Ron vom Spielclub uns darüber Auskunft geben kann.«
Jack Thayer musste laut lachen. Eine wasserdichte Logik und noch dazu ein Schachspieler! Dieser Wilkes beeindruckte ihn immer mehr.
Der alte Mann pfiff noch einmal nach seinem Hund.
»Komm, Norb, wir gehen nach Hause. Wir haben noch viel zu tun.«
33
Unter Brolins geöffneter Lederjacke war der grobmaschige beigefarbene Pullover zu sehen. Die Passanten schenkten ihm keine Beachtung, und niemand, der ihn mit seinen abgetragenen Jeans und den ins Gesicht fallenden Haarsträhnen durch die Straßen laufen sah, wäre auf den Gedanken gekommen, dass es sich um einen Privatdetektiv, obendrein einen Exprofiler handelte.
Den ganzen Vormittag hatte er sich seinen Ermittlungen gewidmet, war der Spur nachgegangen, die von Lucas Shapiro zu dem Caliban-Tempel und diesem I.dW. in 451 Bond Street führte, den Lucas Shapiro am 20. November getroffen hatte. Die Eintragung im Terminkalender war eindeutig: »Diskret, keine Fragen, wenn cash.« Laut der folgenden Notiz hatten Shapiro und seine Leute einen Raum für ihre Rituale einrichten wollen und dreitausend Dollar für sechs Monate Miete gezahlt. Bis jetzt war eine esoterische oder zumindest spirituelle Konnotation der Morde noch nicht erkennbar, denn die Tätowierung war nur ein Teil ihrer Handschrift. Dagegen war es eher atypisch, dass man die Leichen der Verschwundenen nie gefunden hatte. Dass Shapiro TEMPEL auf ein Blatt Papier geschrieben hatte, eröffnete unerwartet eine ganz neue Perspektive.
So unerwartet nun auch wieder nicht, hatte Brolin nach weiteren Überlegungen gefolgert. Ein Tempel zum Ruhme dieses Caliban, eine Art Emblem, das sie sich ausgesucht haben. Ihm war klar, dass er unbedingt herausfinden musste, woher der Name Caliban stammte. Wahrscheinlich hatten sie ihn nicht erfunden, sondern übernommen, da er besonders aussagekräftig war. Caliban dominus noster, in nobis vita …
Innerhalb weniger Stunden hatte Brolin genügend Information über I.dW. – Ivan de Wilde – zusammengetragen, um sagen zu können, dass dieser nur eine Vermittlerrolle spielte. Er vermietete billige Lagerräume in den Gewerbegebieten von Brooklyn und Queens, zum Beispiel auch an Produzenten von Pornofilmen. De Wilde suchte zuverlässige Mieter, die keinen Ärger machten und wenn möglich bar bezahlten, damit das Finanzamt ihm nicht dahinter kam. Genaueres wusste er nicht über seine Mieter.
Die angegebene Adresse in einem tristen Teil von Red Hook erwies sich als ehemaliges Lagerhaus, das die Kriterien der Bausicherheit längst nicht mehr erfüllte und eigentlich gar nicht vermietet werden durfte. Ideal für Bob und seine
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