in China
Glücksgefühl überkam sie. Sheng Ti war da. Er würde Peter begleiten. Sie waren wieder in Urumchi, und es war herrlich, nicht mehr wie ein wildgewordener Araber mit einem nassen Handtuch um den Kopf herumlaufen zu müssen. Die Überreste ihrer
Mahlzeiten in Turfan hatte sie alle gewissenhaft, wenn auch nicht ganz trocken, in ihrem Koffer verstaut. Und Jenny war auf dem Rücksitz eingeschlafen, nachdem sie sich während der Fahrt mehrmals übergeben hatte.
Wenn sie an Turfan zurückdachte, wußte sie genau, daß sie die Fahrt in dem zweirädrigen gummibereiften Eselskarren zusammen mit Peter nicht so leicht vergessen würde. Ihre nächtliche Fahrt in die Wüste. Natürlich dachten sie auch an die negativen Folgen dieser Fahrt. Jemand hatte sie dabei beobachtet. Trotzdem wußte sie, daß sie sich immer an das überwältigende Gefühl zurückerinnern würde, sich ein paar Stunden lang jenseits von Raum und Zeit bewegt zu haben, wenn das auch nur Einbildung gewesen war. Sie hatte sich so herrlich schwerelos gefühlt. Die Jahrhunderte waren an ihr vorbeigezogen. Sie hatten sich über alle Grenzen hinweggesetzt und waren von diesem Erleben beide tief beeindruckt gewesen.
Sie hatten sich einander so nahe gefühlt. Das war wohl das Allerwichtigste, das hatte sie am meisten bewegt. Eben deshalb beschloß sie, ihm nichts von dem Verdacht zu sagen, der sie quälte, ihn zumindest jetzt noch nicht damit zu belasten.
Während alle ausstiegen, gingen Mr. Kan und Mr. Li im Bus nach hinten, um sich um Jenny zu kümmern. Mrs. Pollifax stieg gleich nach Peter aus dem Bus und flüsterte ihm zu: »Haben Sie Sheng Ti am Straßenrand gesehen?«
»Und ob!« Er nickte. »Da bin ich wirklich froh. Er hat es geschafft.«
»Bringen Sie X heute nacht etwas zu essen?«
»Worauf Sie sich verlassen können«, versicherte er ihr.
»Gut. Und was haben Sie morgen in den Bergen bei den Kasachen vor? Haben Sie schon Pläne für die Stunde null?« Bei dem Wort morgen schauderte es sie.
Als sie die Hotelhalle betraten, wandte er sich ihr zu. Sie spürte seinen kalten
geistesabwesenden Blick auf sich. Seine Augen waren irgendwie umwölkt und
undurchsichtig, wie in Hongkong, als sie ihm das erstemal begegnet war. Mit den Worten:
»Ich halte es für besser, Ihnen nichts darüber zu sagen«, fertigte er sie ab.
Sie empfand das nicht als Abfuhr und nickte nur dazu. Sie verstand sehr gut, daß er das Bedürfnis hatte, sich jetzt ganz in sich selbst zurückzuziehen, um Kraft für das zu sammeln, was ihm bevorstand. Das kannte sie aus eigener Erfahrung. Wo das Leben anderer auf dem Spiel stand, durfte man nicht mitteilsam sein. So ganz auf sich gestellt, mußte er verschwiegen sein. Vielleicht war es ja der tiefere Sinn all der Abenteuer, die sie schon erlebt hatte, daß sie dabei die Erfahrung machte, sehr wandlungsfähig zu sein. Da war man gezwungen, jederzeit all seine verborgenen Kraftreserven zu mobilisieren und entdeckte ständig neue. Das Leben war so sehr auf das Wesentliche, auf die Essenz beschränkt, daß alles Nebensächliche und Belanglose völlig verblaßte. Ihr war schon lange klar, daß das schon fast ein mystisches Erlebnis war.
Daher nickte sie verständnisinnig. Peter würde sich ihr nicht mehr anvertrauen, bis er wieder fand, daß er sich das leisten konnte. Turfan lag hinter ihnen. Sie waren Agenten. Peter war ein eiskalter Profi. Das würde sie niemals sein. Es war ihr einfach nicht gegeben. So sagte sie nur lapidar: »Ganz richtig - nur wenn ich irgend etwas für Sie tun kann, sagen Sie es mir.«
Da blieb er stehen und sah sie an. »In einem Punkt können Sie mir wirklich helfen. Bei Ihrer Menschenkenntnis haben Sie sich doch bestimmt schon ein Bild von Sheng Ti gemacht Halten Sie ihn für vertrauenswürdig? Glauben Sie, daß man ihm wirklich trauen kann?«
Sie sagte einfach nur ›ja‹.
Peter nickte. »Gut, dann nehme ich ihn heute nacht mit zu dem Unterschlupf, in dem sich X
versteckt hält.«
»Ausgezeichnet. Dann deponiere ich auf dem Weg zum Eßraum alles, was ich in letzter Zeit für die beiden an Eßbarem gehortet habe, in Ihrem Zimmer.«
Durch die lange Fahrt von Turfan nach Urumchi kamen sie an diesem Tag erst spät zum Abendessen. Für Mrs. Pollifax wurde es sogar noch später, weil Mr. Li sie in der Halle aufhielt, während sich die anderen in den Speisesaal begaben.
»Da ist diese Sache mit Iris Damson und Peter Fox gestern nacht«, wandte er sich an sie.
»Mrs. Pollifax, als Sprecherin und Leiterin
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