in China
Fähigkeiten bedurft hätte. Aber es ist na türlich sehr angenehm zu wissen, - und zwar wirklich zu wissen - daß sie George nicht heiraten würde, ganz gleich wie leidenschaftlich er sich ihr gegenüber auch zeigen mochte.«
»Aber was sagen Sie denn zu Iris und Peter?« fragte sie schelmisch.
Da lachte er, nahm sie beim Arm und führte sie nach links, wo die Mauern der
würfelförmigen Häuschen fast aneinanderstießen. »Daß da nichts dran ist, wissen Sie doch wohl.«
»George hat das anscheinend nicht gewußt«, rief sie ihm ins Gedächtnis.
»George ist ja auch ein Schwachkopf. Er hat zwar einen ausgezeichneten Geschmack was Frauen angeht; aber offenbar ist ihm die äußere Erscheinung wichtiger als das Innenleben bzw. die Form wichtiger als der Inhalt, sonst hätte er Iris nicht eine Sekunde geglaubt. Er ist ein Kleingeist.«
»Haben Sie das Iris gegenüber schon erwähnt?« fragte Mrs. Pollifax.
»Lieber Himmel, nein!« wehrte er entrüstet ab. »Sie verfügt ja nicht über hellseherische Fähigkeiten und wüßte gar nicht, was das alles soll und was in mir vorgeht. Andererseits«, warf er mit einem Kichern ein, »sind wir uns jetzt eine Woche lang beharrlich aus dem Weg gegangen. Das ist schon bald verdächtig. Ich hoffe, es klingt nicht allzusehr nach Macho, wenn ich sage, daß sich jeder des anderen sehr bewußt ist.«
»Das ist selbst mir nicht verborgen geblieben«, bestätigte Mrs. Pollifax und dachte daran, wie es bei der Grabstätte in Xian förmlich zwischen ihnen geknistert hatte. »Aber dann sind Sie bisher sehr taktvoll und zurückhaltend gewesen.«
»Das ist es nicht. Ich wollte ihr nur Zeit lassen«, berichtigte er sie und blieb ganz plötzlich stehen.
»Was haben Sie denn?« fragte Mrs. Pollifax besorgt. Sein Gesichtsausdruck machte ihr angst.
Er stand unbeweglich da, hatte den Kopf gesenkt und schien in sich hineinzuhorchen, als lausche er Stimmen, die sie nicht hören konnte. Er stammelte geistesabwesend. »Ich habe gehört - zu hören geglaubt...«
Sie fragte laut und deutlich: »Malcolm, ist Ihnen nicht gut?«
»Doch«, sagte er, immer noch ganz benommen. »Doch, doch. Gehen wir weiter.«
»Was haben Sie denn gehört?«
Er schüttelte den Kopf. Er war leichenblaß geworden und schien sehr mitgenommen zu sein, doch als er sah, daß sie sich Sorgen um ihn machte, zwang er sich zu einem Lächeln. »Es ist alles in bester Ordnung, wirklich. Kein Grund zur Aufregung.«
Mrs. Pollifax suchte schon in ihrer Tasche nach dem Riechsalz, das sie immer mit sich führte.
»Ja, ja, ich weiß, aber Sie sehen furchtbar aus. Hier, bitte!« Sie hielt ihm das kleine Fläschchen hin.
Er packte sie am Arm und nahm zugleich das Fläschchen. Er schob sie zu einer freien Stelle und wies sie auf die Scherben hin, die überall herumlagen. »Sehen Sie sich das an. Da wäre jeder Archäologe entzückt.«
»Aber haben Sie auch die Hinweisschilder in Englisch gesehen, die besagen, daß man keine einzige Scherbe mitnehmen darf? Malcolm, was haben Sie denn?«
Er preßte sich die Fäuste auf die Ohren. »Und wenn ich auch die Ohren davor verschließe, ich höre die Stimmen immer noch!« Er schraubte den Deckel von dem Fläschchen mit dem Riechsalz ab. »Das hilft leider auch nicht«, sagte er mit grimmiger Miene. »Ich höre sie trotzdem. Verzweifeltes Weinen und Jammern. Die gleichen Klagelaute, die ich auch in Auschwitz gehört habe. Nur sind es hier eigentlich keine lauten Klagen, eher der Ausdruck unsagbarer Qual. Hier muß etwas Schreckliches geschehen sein.« Er blickte über das sonnenüberflutete knochentrockene Hochplateau hin.
»Was mag das nur gewesen sein?« dachte sie bedrückt. Sie glaubte ihm, glaubte fest daran, daß er die Stimmen der Vergangenheit vernommen hatte, die noch immer in diesem
verlassenen Gemäuer herumgeisterten.
»Und keine Spur von Gewalt, das ist das Merkwürdige daran«, erklärte er. »Nur Weinen und Jammern, Klagelaute eine tiefe Trauer.«
»Malcolm, wir machen jetzt besser, daß wir hier rauskommen«, schlug sie vor. »Sie sehen nämlich schrecklich aus.«
Als sie den Pfad hinuntergingen, folgte ihnen Peter. Kaum hatte er Malcolms schwankenden Gang bemerkt fragte er schon von weitem: »Stimmt irgend etwas nicht?«
»Malcolm fühlt sich nicht wohl«, erklärte Mrs. Pollifax.
Peter hatte sie inzwischen eingeholt und starrte Malcolm ins Gesicht. »Großer Gott, er wirkt ja ganz vernichtet.«
Malcolm drohte umzusinken. Sofort griff Peter zu. Er half ihm wieder
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