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in China

in China

Titel: in China Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy Gilman
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auf die Beine. Von beiden Seiten gestützt, wurde er aus den Mauern der versunkenen Stadt herausgeführt, die sich den Hang hinabzog. Je weiter sie sich von der alten Stadt entfernten, desto kräftiger fühlte sich Malcolm. Er sah allmählich wieder wohler aus und erholte sich zusehends.
    »Vielen Dank für Ihre Hilfe, jetzt fühle ich mich schon viel besser«, versicherte er ihnen.
    »Das muß diese Hitze sein«, sagte Peter. »Ich werde Mr. Kan suchen und ihm sagen, wie sie Ihnen zu schaffen macht. Nun setzen Sie sich erst mal hin und holen Sie tief Luft.« Er rannte los, um den Reiseleiter zu suchen. In ihm steckte eine Energie, der die Hitze nichts anhaben konnte. Das war Mrs. Pollifax ein Trost. Denn angesichts der Wüste, die er umgehen wollte, hätte er ohne diese Energie kaum eine Chance. Sie wandte sich Malcolm wieder zu.
    »Ich habe immer geglaubt, es müßte faszinierend sein, über das zweite Gesicht zu verfügen«, erzählte sie ihm. »Dadurch wird das Leben sozusagen um eine Dimension erweitert. Doch jetzt sehe ich, daß das auch seine Tücken hat und Sie einen hohen Preis dafür zahlen.«
    Er lächelte verzerrt. »Manchmal ist es die Hölle. Das ist mir schrecklich peinlich. Bitte sprechen Sie mit niemandem darüber.«
    »Sie haben doch gerade gehört, daß ich das nicht tue«, entgegnete sie trocken.
    »Und es ist auch sehr freundlich von Ihnen, nicht zu glauben, ich hätte den Verstand verloren.
    Es heißt doch immer, wenn man Stimmen hört, ist das das erste Anzeichen dafür, daß man wahnsinnig wird.«
    »Ich finde Sie sogar erstaunlich normal«, sagte sie mit fester Stimme. Sollte er der Agent vom KGB sein, so war er zumindest geistig auf der Höhe, dachte sie. »Wenn Sie in
    sechstausend Jahre alten Ruinen Stimmen hören... In Auschwitz ist es Ihnen ebenso ergangen?«
    Er nickte gequält. »Da mußte ich sogar hinausgetragen werden. Das war die größte
    Demütigung, die ich je erlebt habe. Auf einer Bahre hinausgetragen zu werden!«
    »Sprechen wir von etwas anderem«, schlug sie vor. »Meinen Sie nicht auch? Zum Beispiel von Iris. Oder der Hitze. Oder...«
    Sie fragte sich ganz plötzlich, ob er auch im Zusammenhang mit ihr oder Peter irgend etwas
    ›sah‹ oder spürte. Einen kurzen Augenblick lang glaubte sie sich in Gefahr und fühlte sich sehr unbehaglich.
    Doch das ging vorüber. Mr. Li kam trotz der Hitze im Laufschritt herbeigeeilt und rief ihnen zu: »Ich habe Mr. Kan losgeschickt, um alle unsere Leute zusammenzutrommeln. Die junge Dame, Jenny, fühlt sich furchtbar schlecht.«
    Mrs. Pollifax seufzte. »Und dann blüht uns noch eine vierstündige Busfahrt zurück nach Urumchi. Mr. Li, als Sprecherin der Reisegruppe würde ich vorschlagen, daß wir so bald wie möglich losfahren.«
    Die totenbleiche Jenny zwischen sich, traten Mr. Kan und Iris zwischen den Ruinen hervor.
    Sie schleppten Jenny mehr, als daß sie selber ging. »Sie hat Magenkrämpfe«, erklärte Iris und griff dankbar nach dem Fläschchen mit Riechsalz, das ihr Mrs. Pollifax reichte. Jenny wurde im Bus auf die rückwärtige Bank gebettet und bekam sicherheitshalber eine Tüte in die Hand gedrückt. Joe Forbes und George Westrum kamen von einer ganz anderen Ecke der Stadt herbeigeschle ndert. Peter sprang um sie herum wie ein Schäferhund, der eine Schafherde zusammentreibt. Als sich der Bus in Bewegung setzte, warf Mrs. Pollifax noch einen letzten Blick auf Jiaohe, das unter der gleißenden Sonne in Trauer versunken vor sich hinträumte.
    Was hat man dir nur angetan, fragte sie sich im stillen und wußte genau, daß diese Frage sie nun bis ans Ende ihrer Tage beschäftigen würde.
    Bevor sie wieder nach Urumchi kamen, fuhren sie auch wieder an den Flugabwehrgeschützen vorbei, deren Umrisse auf den Hügeln außerhalb der Stadt zu erkennen waren. Als sich der Bus einen Weg durch die ausufernde Stadt bahnte, kamen sie an mehreren Fabriken vorbei, aus deren Schornsteinen dichter, gelber Qualm aufstieg. Als sie sich der baumbestandenen Auffahrt näherten, die zu ihrem Hotel führte, erspähte Mrs. Pollifax Sheng Ti. Er saß am Straßenrand in der Nähe des Eingangs und blickte dem Kleinbus interessiert entgegen. Sie sah, wie er seine klugen Augen auf Peter und dann auf sie richtete. Da hob sie grüßend die Hand und lächelte ihm zu. Er hatte es irgendwie geschafft, nach Urumchi zu kommen. Und jetzt war er hier.
    Als der Bus vor dem Hotel hielt, mußte sich Mrs. Pollifax sagen, daß eigentlich alles ganz gut lief. Eine Art

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