In deinen Armen
Engländer stehen.«
Erstaunt über Lady Bess' Zugeständnis holte Enid tief und kontrolliert Luft. Ihr Magen schmerzte. Es stimmte. Alles, was Lady Bess sagte, stimmte. Zum ersten Mal sah sie sich gezwungen, sich einzugestehen, dass einer der Männer, die sie so gut kannte, ein Mörder war. Als der schwarz gekleidete, versteinert dreinblickende Pfarrer durch die Seitentür auf den Altar zuwankte, warf Enid wieder einen Seitenblick auf Mr. Kinman, Harry und Jackson. Heute würde sie dem Verräter von Angesicht zu Angesicht gegenüberstehen und endlich erfahren, wer er war. Dreimal hatte er versucht, sie und MacLean kaltblütig abzuschlachten.
Die Gemeinde verstummte, als Mr. Hedderwick seine Predigt begann.
Enid wollte MacLean, der ausgestreckt in seinem Sarg lag, nicht ansehen. Ihn zu sehen hätte ihr nur die letzte Nacht mit all ihren Ausschweifungen und Freuden ins Gedächtnis gerufen. All die Wut, die Lust … und ihren Verrat an sich selbst.
Im Wahn des Begehrens hatte sie ihm gesagt:
»Ich liebe dich.
« Ihre Finger zitterten, als sie sich die feuchten Handflächen an ihrem Rock abwischte. Wenn sie jetzt an ihr ungestümes Geständnis dachte, wäre sie am liebsten in Ohnmacht gefallen. Wenn sie an MacLean dachte und wie dieser Sporran auf seinem Körper ruhte, um einen ruchlosen Killer zu locken, dann wollte ihr der Schädel platzen.
Sie sah sich verstohlen um.
Die Kapelle war bereits vor so langer Zeit errichtet worden, dass die steinernen Stufen zum Altar ganz abgetreten waren. Schöne bunte Glasfenster erhoben sich himmelwärts. Hohe eiserne Kerzenleuchter standen auf beiden Seiten des Podestes, eines uralten Podestes, das ganze Jahrhunderte an Gottesdiensten gesehen hatte. Und MacLeans Sarg stand genau in der Mitte, wo das Licht des Morgens auf seine reglose Gestalt fallen konnte.
Er wirkte erstaunlich … tot.
»Ich habe ihm heute Morgen wieder das Gesicht gepudert«, murmelte Lady Bess Enid ins Ohr.
Enid sah weg. Sie war entschlossen, jetzt nicht an MacLean zu denken. Obwohl sie die Wahrheit kannte, konnte sie MacLean nicht so daliegen sehen. Welche Farce auch immer diese Beerdigung darstellte, sie erinnerte Enid nichtsdestoweniger an all die Beerdigungen, die sie versäumt hatte.
Vor weniger als einem Monat war Lady Halifax gestorben, und Enid hatte aufrichtig um sie getrauert … ein paar Stunden lang. Bis sie in MacLeans Armen Trost gesucht hatte, von einem Feuer aus dem Cottage gejagt und nach Schottland geschickt worden war. Seit jener Nacht hatte Enid kaum an die alte Frau gedacht, dennoch … hatte sie Lady Halifax geliebt. Sie hatte sich damals ausgemalt, dass sie vielleicht die Gelegenheit bekam, zu ihrer Beerdigung zu reisen, den Kirchenliedern und Gebeten zu lauschen. Sie konnte Lady Halifax' beißende Stimme förmlich hören. »Enid, der Herr kann Sie hören, wo immer Sie Ihre Gebete sprechen, also keine Ausreden jetzt.«
Sie senkte den Kopf, faltete die Hände, sprach ein Gebet für Lady Halifax und versuchte den Kloß zu ignorieren, der ihr im Hals steckte.
Tränen. Die Erinnerung an Lady Halifax hatte sie den Tränen nah gebracht.
Schluckend sah sie auf MacLean, der ein weißes, gestärktes Hemd trug, ein Spitzenjabot, eine Tartanschärpe im Karo der Familie und seinen Kilt. Oh, Kiernan, wie kannst du deine Lebendigkeit hinter einer solchen Totenpose verstecken?
Bevor ihr noch ein Schluchzen entfloh, wandte sie sich hastig ab.
Und Stephen, natürlich, ihr Ehemann. Der Pfarrer sprach jetzt über Stephen, über seine Tapferkeit und seine Opferbereitschaft, als er im Augenblick der Explosion nur an seinen Cousin gedacht hatte. Der Pfarrer erinnerte auch daran, welch charmanter Bursche Stephen gewesen war und welches Glück er seiner verwitweten Mutter beschert hatte.
Lady Catriona schluchzte laut.
Stephen sei ein wenig schelmisch gewesen, immer zum Lachen aufgelegt und gleich dabei, wenn es um ein Spiel ging oder darum, seine Mannschaft zum Sieg zu führen. Er habe über seine großen Ohren gescherzt und sei immer der Liebling der Damen gewesen, ob nun jung oder alt.
Während der Pfarrer sprach, erstand Stephens Bild vor Enids innerem Auge. Als sie ihn kennen gelernt hatte, war er ein charmanter Bursche gewesen. Unerhört charmant. Und er hatte einem Waisenkind, einem Mädchen, das in einem nicht enden wollenden Albtraum lebte, das Lachen beigebracht.
Ah, das Lachen war ihr schnell vergangen, aber ein paar kurze, wundervolle Momente lang hatte sie nur den Augenblick gelebt
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