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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Alleinsein war nicht so mein Ding. Wahrscheinlich dachte ich, Grace wäre wie ich, aber sie ist kein bisschen so wie ich, stimmt’s? Ihr zwei meint es ernst miteinander, oder?«
    Ich schwieg einen Moment. »Sehr ernst, Mrs Brisbane.«
    »Bist du sicher, dass du nicht mit reinkommen willst? Mich selbst zu bemitleiden, wäre viel angenehmer, wenn mir nicht jedermann dabei zusehen würde.«
    Nervös dachte ich an Cole, allein im Laden. Dann dachte ich an die Leute, die mir auf dem Weg hierher begegnet waren. Zwei Frauen mit Kaffee. Eine rauchende Verkäuferin. Eine Mutter mit Babys. Die Chancen, dass Cole sich in Schwierigkeiten bringen würde, schienen relativ gering.
    »Okay, ganz kurz«, sagte ich.

KAPITEL 19
COLE
    Eine Buchhandlung war nicht gerade der unterhaltsamste Ort, an dem ich hätte festsitzen können. Ein paar Minuten wanderte ich durch die Regalreihen und suchte nach Büchern, in denen ich vielleicht erwähnt wurde, schabte mit der Fußsohle meinen Namen in den Teppich auf der Treppe und suchte im Radio, das den Verkaufsraum beschallte, nach einer etwas weniger aufdringlich unaufdringlichen Musik. Der Laden roch nach Sam – oder wahrscheinlich roch eher Sam nach dem Laden. Nach Tinte und altem Gemäuer und etwas Grünerem als Kaffee, aber weniger Interessantem als Gras. Es war alles sehr … bildungsbürgerlich. Ich fühlte mich umzingelt von Gesprächen, an denen ich kein Interesse hatte teilzunehmen.
    Schließlich fand ich ein Buch mit Überlebenstipps für alle möglichen Katastrophen, setzte mich auf den Hocker hinter der Kasse, die Füße auf den Tresen gelegt, und blätterte in dem Buch. Kein Kapitel lautete Wenn man zum Werwolf wird. Und auch bei Von einer Sucht loskommen oder Mit sich selbst leben: Fehlanzeige.
    Die Tür machte pling und ich sah nicht auf, weil ich dachte, Sam wäre zurückgekommen.
    »Oh, was machst du denn hier?«
    Noch bevor ich den Kopf hob, erkannte ich sie an der Verachtung in ihrer Stimme und dem Rosenduft ihres Parfüms. Mein Gott, sie war echt heiß. Ihre Lippen sahen aus, als würden sie nach Kirschbonbons schmecken. Ihre Wimperntusche war so dick aufgetragen wie Schuhcreme und ihre Haare waren länger als vorher – mittlerweile hätte ich mir die eisig blonden Strähnen zweimal um den Finger wickeln können. Nicht dass ich mir solche Sachen vorstellte. Während hinter ihr langsam die Tür zufiel, öffnete sie ihre leckeren Lippen.
    »Willkommen im Crooked Shelf« ,sagte ich und zog eine Augenbraue hoch. »Was kann ich für Sie tun? Unsere Ratgeberabteilung ist sehr umfangreich.«
    »Tja, du musst es ja wissen«, erwiderte Isabel. Sie hatte zwei Pappbecher dabei, die sie jetzt mit Nachdruck auf der Theke abstellte, weit weg von meinen Füßen. Mit etwas, was wie Abscheu wirkte, musterte sie mein Gesicht. Oder war es Angst? War Isabel Culpeper zu diesem Gefühl überhaupt fähig? »Was zur Hölle hat Sam sich dabei gedacht? Dir ist schon klar, dass hier jeder vorbeilaufen und dein Gesicht durchs Schaufenster sehen kann, oder?«
    »Gönn denen doch die schöne Aussicht«, sagte ich.
    »Muss toll sein, so eine unbekümmerte Einstellung.«
    »Muss ätzend sein, sich solchen Stress wegen anderer Leute Probleme zu machen.« Etwas Träges, Fremdartiges bewegte sich durch meine Adern. Überrascht und beeindruckt zugleich stellte ich fest, dass es Wut war. Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal wütend gewesen war – mit Sicherheit war es wegen irgendwas zwischen meinem Vater und mir gewesen –, und ich wusste noch nicht mal mehr, was man dagegen machte.
    »Ich spiele jetzt mit Sicherheit keine Psychospielchen mit dir«, sagte sie.
    Ich betrachtete die Kaffeebecher, die sie mitgebracht hatte. Einen für sich, einen für Sam. Solche Aufmerksamkeiten schienen mir nicht zu der Isabel zu passen, die ich kannte. »Ach, mit Sam aber schon, oder wie?«, fragte ich.
    Isabel starrte mich einen langen Augenblick an und schüttelte schließlich den Kopf. »Mein Gott, unsicherer geht’s wohl nicht mehr, was?«
    Die Antwort auf diese Frage lautete: Doch, immer, aber ich konnte drauf verzichten, dass sie meine weniger bekannten Schwächen so ans Licht zerrte. Ich beugte mich vor, um die beiden Becher zu untersuchen, während Isabel meinen Bewegungen mit Blicken folgte, die mir einen langsamen, schmerzhaften Tod verhießen. Ich nahm die Deckel von den Bechern und sah hinein. In einem befand sich etwas, was verdächtig gesund roch. Grüner Tee wahrscheinlich oder

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