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In deinen Augen

In deinen Augen

Titel: In deinen Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie Stiefvater
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Cole. »Und, springst du jetzt in dein Trikot?«
    Wir standen vor dem Hintereingang des Crooked Shelf, der Buchhandlung, in der ich mehr oder weniger wohnte. Wegen des Gewitters hatte ich schlecht geschlafen und nach der schlechten Nachricht vom Abend zuvor wäre ich am liebsten gar nicht arbeiten gegangen, aber so kurzfristig hatte ich meine Schicht nicht tauschen können. Also ging ich doch. Ich musste mir eingestehen, dass die Normalität des Ganzen meine Nervosität ein wenig linderte. Oder na ja, vielleicht hätte sie das, wenn Cole nicht gewesen wäre. Jeden zweiten Tag, wenn ich zur Arbeit musste, hatte ich Cole zu Hause gelassen und nicht weiter darüber nachgedacht. Heute aber hatte ich zu ihm rübergesehen, während ich mich fertig machte, und gemerkt, dass er mich schweigend beobachtete, also hatte ich ihn gefragt, ob er mitkommen wollte. Noch bereute ich es nicht, aber der Morgen hatte ja auch gerade erst angefangen.
    Cole blinzelte vom Fuß der kurzen Treppe zu mir herauf, die Hände links und rechts auf das Geländer gestützt, das Haar ein kunstvolles Durcheinander. Die freundliche Morgensonne verlieh ihm etwas Entwaffnendes, Entspanntes. Reine Fassade.
    »Mein Trikot?«, wiederholte ich.
    »Ja, deine Superheldenuniform«, meinte Cole. »Sam Roth, Werwolf bei Nacht, Bucheinzelhandelsfachangestellter am Tag. Brauchst du dafür kein Cape oder so was?«
    »Doch«, erwiderte ich und schloss die Tür auf. »Die Alphabetisierungsrate in diesem Land ist erschreckend, da braucht man schon ein Cape, um auch nur ein Kochbuch an den Mann zu bringen. Du bleibst aber im Hinterzimmer, wenn jemand kommt, oder?«
    »Als ob mich in einer Buchhandlung irgendwer erkennen würde«, schnaubte Cole. »Sieht der Laden von vorne eigentlich genauso beschissen aus wie von hinten?«
    Alle Geschäfte auf der Hauptstraße waren durch dieselbe Seitengasse miteinander verbunden, die voller graffitiverschmierter Abfalltonnen, Unkraut von der Größe junger Bäume und Plastiktüten war, die dem Tod durch Müllentsorgung entronnen waren, nur um sich am unteren Ende von Treppenaufgängen zu sammeln. Niemand außer den Ladeninhabern und ihren Angestellten kam jemals hierher; mich störte der desolate Zustand nicht, weil er schon so weit fortgeschritten war, dass ich keinen Drang mehr verspürte, hier irgendetwas in Ordnung zu bringen.
    »Den Teil hier sieht ja niemand«, erklärte ich. »Da ist es egal, ob’s schön ist.«
    »Also wie Track sechs auf einem Album«, sagte Cole. Er grinste, wahrscheinlich war das ein Insiderwitz, den nur er verstand. »Und, was ist der Masterplan?«
    Ich stieß die Hintertür auf. »Plan? Also, meine Schicht geht bis zwölf und irgendwann vorher will Isabel vorbeikommen und mir erzählen, was sie seit gestern Abend rausgefunden hat. Und dann könnte ich dir ’ne Papiertüte über den Kopf stülpen und wir gehen Mittag essen.«
    Das Hinterzimmer war ein einziges Chaos aus Papierstapeln und Kisten, die darauf warteten, im Müll zu landen. Ich selbst war nicht der Allersortierteste und Karyn, die Ladeninhaberin, hatte ein ziemlich kryptisches Ablagesystem, das niemand außer ihr durchblickte. Als Grace zum ersten Mal die Unordnung gesehen hatte, war sie entsetzt gewesen. Cole betrachtete nur nachdenklich ein Teppichmesser und einen mit Gummibändern zusammengehaltenen Stapel Lesezeichen, während ich im Laden die Lichter einschaltete.
    »Leg die wieder dahin, wo du sie gefunden hast«, sagte ich.
    Während ich den Laden kundenfertig machte, stakste Cole hinter mir her, die Hände im Rücken gefaltet wie ein kleiner Junge, dem eingebläut worden war, ja nichts kaputt zu machen. Er wirkte hier unglaublich fehl am Platz, ein elegantes, gefährliches Raubtier zwischen sonnenbeschienenen Regalen, die im Vergleich geradezu klobig anmuteten. Ich fragte mich, ob dieses Auftreten, das, was er ausstrahlte, einer bewussten Entscheidung entsprang, oder ob es lediglich ein Nebenprodukt seiner Persönlichkeit war. Und ich fragte mich, wie jemand wie er, eine zornige Sonne, an einem Ort wie Mercy Falls überleben sollte.
    Befangen durch Coles eindringlichen Blick, der auf mir ruhte, schloss ich die Vordertür auf, machte die Kasse bereit und schaltete die Hintergrundmusik ein. Dass er die Schönheit dieses Orts wirklich zu schätzen wusste, bezweifelte ich zwar, dennoch ergriff mich eine kurze, heftige Welle von Stolz, als er sich umsah. In diesem Laden steckte so viel von mir.
    Die mit Teppich ausgelegten Stufen im

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