In deinen Augen
schön«, seufzte ich. »Ich will ins Kenny’s und ich weiß noch nicht, wer Zeit hat, mit mir hinzugehen. Zufrieden?«
»Überglücklich«, erwiderte Mom. Plötzlich fiel mir auf, dass sie die Schuhe trug, die ich für sie gekauft hatte. Aus irgendeinem Grund war es ein komisches Gefühl, sie so zu sehen. Mom und Dad, beide lächelnd, sie in ihren neuen Schuhen, und daneben ich, voller Sorge, dass sie meine Freundin mit einem Großkalibergewehr wegpusten würden.
Ich schnappte mir meine Handtasche, ging nach draußen und setzte mich in mein Auto. Und dort, in der stickigen Luft, blieb ich erst mal sitzen, ohne den Schlüssel umzudrehen oder mich zu bewegen. Ich hielt nur mein Handy in der Hand und überlegte, was ich nun tun sollte. Na ja, was ich tun sollte, wusste ich, nur nicht, ob ich es auch wollte. Sechs Dienstage, seit ich zum letzten Mal mit ihm geredet hatte. Vielleicht würde Sam ja ans Telefon gehen. Mit Sam konnte ich reden.
Nein, ich musste mit Sam reden. Weil der Kongressabgeordnete Landy und mein Dad in ihrem kartoffelchipbefeuerten Kriegsrat tatsächlich etwas in Gang setzen konnten. Ich hatte keine Wahl.
Ich biss mir auf die Lippe und wählte die Nummer von Becks Haus.
»Ja.«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung war unendlich vertraut und das nervöse Flüstern in meinem Magen schwoll zu einem Heulen an.
Nicht Sam.
Meine Stimme klang ungewollt eisig. »Cole, ich bin’s.«
»Oh«, sagte er und legte auf.
KAPITEL 3
GRACE
Das Einzige, woran ich die verstrichene Zeit messen konnte, war das Knurren meines Magens, und so kam es mir vor wie eine Ewigkeit, bis ich endlich ein Geschäft erreichte. Das erste, das ich fand, war ein Anglerladen namens Bens Fish and Tackle in einem düstergrauen Gebäude ein Stück abseits der Straße, das aussah, als wäre es geradewegs aus dem umliegenden schlammigen Boden emporgewachsen. Um zur Tür zu gelangen, musste ich vorsichtig über einen holprigen Kiesparkplatz voller Schneematsch und Regenwasser staksen. Ein Schild über dem Türknauf informierte mich, dass ich die Schlüssel für meinen Mietumzugswagen in den Briefkasten an der Seite des Gebäudes werfen solle. Ein zweites Schild pries Beaglewelpen zum Verkauf an. Zwei Rüden und ein Weibchen.
Ich legte die Hand auf den Türknauf. Bevor ich ihn drehte, ging ich im Kopf noch mal meine Geschichte durch. Natürlich blieb immer die Möglichkeit, dass man mich erkennen würde – mit einem Mal wurde mir klar, dass ich keine Ahnung hatte, wie lange es her war, dass ich mich in einen Wolf verwandelt hatte, oder wie berichtenswert mein Verschwinden gewesen war. In Mercy Falls schaffte es schließlich schon eine verstopfte Toilette in die Schlagzeilen.
Ich ging hinein, schob die Tür hinter mir zu und verzog unwillkürlich das Gesicht. Im Inneren des Ladens war es entsetzlich heiß und es stank nach schalem Schweiß. Ich wanderte an Regalen voller Angelzeug, Rattengift und Luftpolsterfolie vorbei, bis ich schließlich die Kasse am hinteren Ende erreichte. Hinter der Theke stand ein kleiner alter Mann und schon aus einigen Metern Entfernung war mir klar, dass er und sein gestreiftes Hemd die Quelle des Schweißgeruchs darstellten.
»Wollen Sie ’nen Umzugswagen mieten?« Der Mann richtete sich auf und stierte mich durch viereckige Brillengläser an. An der Werkzeugwand hinter seinem Kopf hingen Reihen von Packbandrollen. Ich versuchte, durch den Mund zu atmen.
»Hallo«, antwortete ich. »Ich will keinen Umzugswagen mieten.« Dann holte ich Luft, machte ein möglichst jämmerliches Gesicht und fing an zu lügen. »Die Sache ist die, meine Freundin und ich, wir haben uns gerade total gestritten und dann hat sie mich einfach aus dem Auto geschmissen. Ziemlich daneben, was? Und jetzt steh ich hier. Wäre es möglich, dass ich kurz Ihr Telefon benutze?«
Stirnrunzelnd sah er mich an und ich fragte mich plötzlich, ob ich wohl komplett voller Matsch war und wie schlimm meine Haare aussahen. Verstohlen tastete ich mit der Hand darüber.
Dann fragte er: »Wie?«
Ich wiederholte meine Geschichte, wobei ich genau darauf achtete, dass sich nichts darin veränderte, und zog weiterhin mein jämmerliches Gesicht. Das war nicht schwierig. Ich fühlte mich wirklich ziemlich jämmerlich. Er sah immer noch skeptisch aus, also fügte ich hinzu: »Telefon? Damit ich jemanden anrufen kann, der mich abholen kommt?«
»Tja ja«, sagte er. »’n Ferngespräch, oder was?«
Hoffnung keimte in mir auf. Ich hatte keine
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