In deinen Augen
Erste in die Garage, um ihn wieder aufzustellen, und bemerkte dann, dass die Motorhaube einen Spaltbreit offen stand. Prüfend drückte ich sie herunter. »War das schon so?«
»Ja. Zumindest die letzten zehn Jahre«, sagte Sam und stellte sich neben mich. Der BMW war nicht gerade eine Schönheit und die Garage roch noch immer nach der Flüssigkeit, die er als Letztes verloren hatte, welche auch immer es war. Sam deutete auf eine umgekippte Werkzeugkiste neben dem hinteren Kotflügel. »Aber das da war nicht so.«
»Und außerdem«, warf Cole ein, »lauscht doch mal.«
Ich hörte sofort, was Cole meinte: ein Scharren unter dem Auto.
Ich wollte mich schon bücken, aber Sam hielt mich am Arm zurück und kniete sich dann selbst hin, um nachzusehen.
»Ach du Schande«, sagte er. »Das ist ein Waschbär.«
»Armer Kerl«, seufzte ich.
»Das könnte ein tollwütiger Babykiller sein«, flüsterte Cole dramatisch.
»Halt die Klappe«, befahl ihm Sam unbeeindruckt, während er immer noch unter das Auto spähte. »Wie kriegen wir den jetzt bloß hier raus?«
Cole ging an mir vorbei, den Besen erhoben wie ein Zepter. »Mich interessiert viel mehr, wie der hier reingekommen ist.«
Er wanderte um das Heck des Wagens herum zur Seitentür der Garage, die ein Stück offen stand. Mit dem Besen klopfte er dagegen. »Sherlock hat ein Indiz.«
SAM
Ich sagte: »Besser wär’s, wenn Sherlock eine Idee hätte, wie wir Monsieur hier rauskriegen.«
»Oder Madame«, ergänzte Cole und Grace schenkte ihm einen beifälligen Blick. Mit dem Küchenmesser in der Hand wirkte sie knallhart und sexy und wie eine vollkommen andere Person. Dass sie sich so gut mit Cole verstand, hätte mich vielleicht eifersüchtig machen müssen, aber es stimmte mich nur froh – ein Beweis, stärker als jeder andere, dass ich anfing, Cole als einen Freund zu sehen. Schließlich hegte insgeheim ja jeder die Fantasie, dass alle, mit denen er befreundet war, sich auch untereinander gut verstanden.
Barfuß tappte ich in den vorderen Teil der Garage – Schmutz und Splitt drückten sich unangenehm in meine Fußsohlen – und zog das Tor auf. Mit einem höllenlauten Krachen rollte es hoch an die Decke und vor mir tat sich die dunkle Einfahrt mit meinem VW auf, eine unheimliche, einsame Landschaft. Kalte Nachtluft, die den Duft frischer Blätter und Knospen mit sich trug, schnitt mir in Arme und Zehen und die kraftvolle Kombination aus kühler Brise und der weiten, weiten Nacht ließ mein Blut pulsieren und rief mich zu sich. Einen Augenblick lang verlor ich mich in der Heftigkeit meiner Sehnsucht.
Mit einiger Mühe drehte ich mich zu Cole und Grace um. Cole stocherte bereits versuchsweise mit dem Besenstiel unter dem Auto herum, aber Grace blickte in die Nacht hinaus und ihr Gesichtsausdruck schien meinen zu spiegeln. Nachdenklich, voller Verlangen. Sie erwischte mich dabei, wie ich sie ansah, aber ihr Blick veränderte sich nicht. Es war – es war, als wüsste sie, wie ich mich fühlte. Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit erinnerte ich mich daran, wie ich im Wald darauf gewartet hatte, dass sie sich verwandelte, darauf, dass wir beide gleichzeitig Wölfe waren.
»Komm schon, du kleiner Scheißer«, sagte Cole zu dem Tier unter dem Auto. »Ich hatte gerade so super geträumt.«
»Soll ich mich mit irgendwas anderem drüben hinstellen?«, fragte Grace, den Blick noch eine Sekunde lang auf mich gerichtet, bevor sie sich umdrehte.
»Das Messer ist aber vielleicht ein bisschen übertrieben«, merkte ich an und trat weg von der Garagentür. »Da hinten steht ein Straßenbesen.«
Sie betrachtete das Messer noch einen Moment lang, bevor sie es auf einer Vogeltränke ablegte – ein weiterer gescheiterter Versuch Becks, den Garten zu verschönern.
»Ich hasse Waschbären«, verkündete Cole. »Siehst du jetzt, was an deiner Idee, die Wölfe umzusiedeln, problematisch werden könnte, Grace?«
Grace, mit dem Straßenbesen bewaffnet, schob das borstige Ende mit grimmiger Entschlossenheit unter das Auto. »Ich kann nicht behaupten, dass ich diesen Vergleich sehr gelungen finde.«
Ich konnte das maskierte Gesicht des Waschbären unter dem BMW hervorspähen sehen. Im nächsten Moment flüchtete er vor Coles Besenstiel und huschte schnurstracks am offenen Garagentor vorbei, um auf der anderen Seite des Autos hinter einer Gießkanne Schutz zu suchen.
»Du dämlicher kleiner Scheißer«, stieß Cole ungläubig hervor.
Grace ging zu der Gießkanne und rüttelte
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