In deinen Augen
sie bloß einen Kommentar über das Wetter gemacht. Doch ihre Augen wirkten irgendwie hart, zusammengekniffen, und straften ihren beiläufigen Tonfall Lügen.
Ich wusste nicht, was sie von mir hören wollte. Am liebsten hätte ich lauthals gelacht. Denn mit einem Schlag wurde mir klar, dass sie recht hatte – gut, der Wald würde sie für die kalten Monate zu sich rufen, aber sie würde nicht sterben; ich hatte sie nicht für immer verloren. Ich hatte sie bei mir, genau in diesem Moment. Alles Weitere erschien im Vergleich dazu klein, erträglich, zweitrangig.
Mit einem Mal wirkte die Welt wie ein freundlicher, verheißungsvoller Ort. Mit einem Mal sah ich die Zukunft vor mir und sie war ein Ort, an dem ich mich wohlfühlen würde.
Ich begriff, dass Grace noch immer auf eine Antwort wartete. Ich zog sie dichter an mich, bis wir Nase an Nase unter dem Nordlicht saßen. »War das jetzt ein Antrag?«, fragte ich.
»Nur eine Frage. Um Klarheit zu schaffen«, antwortete Grace. Aber sie lächelte, ein winziges, ehrliches Lächeln, weil sie meine Gedanken bereits gelesen hatte. Die feinen Haare an ihrer Schläfe wehten im Wind, es sah aus, als müsste es kitzeln, aber es schien sie nicht zu stören. »Ich meine, anstatt für immer in Sünde zu leben.«
Nun lachte ich tatsächlich – vielleicht war die Zukunft ein gefährlicher Ort, aber ich liebte Grace und sie liebte mich und die Welt um uns war wunderschön und schimmerte in sanftem Rosa.
Sie küsste mich, ganz zart. »Sag ›okay‹.« Sie hatte angefangen zu zittern.
»Okay«, sagte ich. »Abgemacht.«
Es fühlte sich an wie etwas Greifbares, wie etwas, das ich in Händen halten konnte.
»Meinst du das auch wirklich ernst?«, vergewisserte sie sich. »Sag es nicht, wenn du es nicht ernst meinst.«
Meine Stimme klang nicht so bedeutsam, wie ich meine Worte empfand. »Ich meine es wirklich ernst.«
»Okay«, sagte Grace und schien plötzlich vollkommen zufrieden und beruhigt, meiner Zuneigung sicher. Sie seufzte leise auf und verflocht ihre Finger mit meinen. »Dann kannst du mich jetzt nach Hause bringen.«
KAPITEL 28
SAM
Wieder zu Hause angekommen, ließ sich Grace in mein Bett plumpsen und war im selben Moment eingeschlummert. Ich beneidete sie um ihre entspannte Beziehung zum Schlaf. Reglos lag sie da und schlief den unheimlichen, totengleichen Schlaf vollkommener Erschöpfung. Ich konnte es ihr nicht gleichtun, alles in mir war hellwach. Mein Bewusstsein war in einer Endlosschleife gefangen und spielte mir die Ereignisse des Tages wieder und wieder vor, bis sie sich zu einem einzigen neuen Gebilde zusammenschlossen, das unmöglich wieder in einzelne Minuten zu zerlegen war.
Also ließ ich Grace allein und schlich mich nach unten. In der Küche durchwühlte ich meine Tasche nach dem Autoschlüssel und legte ihn auf die Theke. Es kam mir falsch vor, dass der Raum so aussah wie immer. Nach heute Abend hätte alles anders sein müssen. Der einzige Hinweis darauf, dass Cole hier residierte, war das leise Murmeln eines Fernsehers aus dem ersten Stock; ich war froh, allein zu sein. Ich war so erfüllt von Glück und Traurigkeit zugleich, dass Sprechen völlig außer Frage stand. Noch immer spürte ich Grace’ Wange an meinem Hals und sah ihr Gesicht vor mir, wie sie zu den Sternen hochblickte und auf meine Antwort wartete. Ich war nicht bereit, dieses Gefühl durch irgendwelche Gespräche zu verwässern, noch nicht.
Stattdessen schälte ich mich aus meiner Jacke und ging ins Wohnzimmer – wo Cole ebenfalls den Fernseher angelassen hatte, wenn auch immerhin auf stumm geschaltet. Ich stellte ihn aus und griff nach meiner Gitarre, die noch genauso am Sessel lehnte, wie ich sie zurückgelassen hatte. Ihr Korpus war ein bisschen schmutzig, nachdem sie draußen gewesen war, und der Lack hatte einen frischen Kratzer, wo entweder Cole oder ich zu unvorsichtig mit ihr umgegangen waren.
Entschuldige, dachte ich, denn laut sprechen wollte ich immer noch nicht. Behutsam zupfte ich an den Saiten; der Temperaturwechsel von draußen nach drinnen hatte sie ein bisschen verstimmt, aber nicht so sehr, wie ich gedacht hatte. Ich hätte sie auch so spielen können, aber ich nahm mir trotzdem den Moment Zeit, bis alles perfekt war. Dann schlüpfte ich in den Gurt, vertraut und angenehm wie ein Lieblings-T-Shirt, und dachte an Grace’ Lächeln.
Ich fing an zu spielen. Variationen in G-Dur, dem wunderbarsten Akkord der Welt, unendlich fröhlich. In einem G-Dur-Akkord hätte
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