In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
sie aufregender, was dort drüben jemand mit einem Schildkrötenpanzer anstellte. Sie jauchzten vor Begeisterung.
Tim betrachtete das Präparat genauer. »Pfoten, Maul und Lefzen enthalten noch immer getrocknetes Fleisch. Außerdem ist das Mark noch in den Knochen. Wir könnten Knorpelmaterial aus den Ohren entnehmen, aber am einfachsten ist es, ein Stück aus einer Zehe herauszuschneiden. Das merkt niemand. Von der linken Hinterpfote fehlt sowieso schon ein Stück. Ist wahrscheinlich in der Kühlanlage abgebrochen.«
Möglicherweise waren Pathologen nicht die Einzigen, die einen pragmatischen Umgang mit sterblichen Überresten pflegten, vermutete sie.
»Wie lange wird es dauern, bis ein Ergebnis da ist?«
»Nur ein paar Tage.«
Er verschwand und kam mit einem Skalpell und einer kleinen Schere zurück. Er entnahm den Teil einer hinteren Zehe und schabte zusätzlich etwas Haut vom Bauch ab.
Anya dankte ihm und ging Ben suchen, der inzwischen zu einem Computer weitergezogen war.
»Vergessen Sie Ihren Freund nicht«, rief Tim ihr nach.
Sie verdrehte die Augen und schlug den Hund wieder in die Decke ein. Dann würden sie den Tag wohl zusammen mit Braunauge verbringen müssen.
Ben löste ein Quiz über den Regenwald, und sie dachte inzwischen über Nick Hudson nach. Hätte er so beiläufig über Eileen Randall sprechen können, wenn er sie ermordet hatte? Es war eindeutig, dass er das Mädchen verachtete und ihren Tod nicht bedauerte. Sie sah auf Braunauge, der auf dem Pult stand.
Nicht mehr lange, und sie würden wissen, ob der Hund, der Nick nie von der Seite wich, in jener Nacht am Tatort gewesen war.
37
Am nächsten Morgen war Ben wie üblich um sechs Uhr wach, und Anya gab sich alle Mühe, mit dem frühen Start zurechtzukommen. Da sie ihn nur jedes zweite Wochenende sah, wollte sie so viel Zeit wie möglich aufholen, aber mit dem Versuch, zwei Wochen in zwei Tage zu stecken, waren sie bisweilen beide ein wenig überfordert. Sie bemühte sich redlich, die rechte Balance zu finden und Ben zu behandeln, als lebe er dauernd bei ihr.
Vorsichtig klopfte jemand an die Haustür, und sie strich sich mit beiden Händen die Haare glatt und zog im Wohnzimmer eine Windjacke über den Schlafanzug.
Vor der Tür stand ein abgekämpft aussehender Peter Latham.
»Es ist früh, aber ich bin spazieren gegangen und habe gesehen, dass bei dir schon Licht brennt.«
Peter war nie ein Freund von Sport gewesen und hielt sein Idealgewicht, indem er Mahlzeiten ausließ, in der Regel unabsichtlich.
»Wir sind wach«, sagte sie und umarmte ihn. »Komm rein.«
Einen Augenblick lang schien Peter sich unbehaglich zu fühlen, doch dann kam Ben aus der Küche gelaufen und warf sich seinem Patenonkel in die Arme.
»Wie geht’s meinem Lieblingskerlchen?«, sagte er und stützte ein Knie auf dem Boden ab. Er gehörte zu den wenigen, die sich zu Ben hinunterbeugten, um ihn zu umarmen.
»Du hast dich beim Reinkommen so komisch umgesehen – erzähl mir bloß nicht, du hast gedacht, es wäre ein Mann bei mir?«, zog Anya ihn auf und wusste nicht recht, ob sie geschmeichelt oder beleidigt sein sollte. »Ich gebe ein paar Rühreier in die Mikrowelle, wenn du auch welche magst.«
»Liebend gern, aber nur, wenn es keine Umstände macht. Ich weiß, wie wenig Zeit ihr füreinander habt.«
»Bitte bleib, Peter«, sagte Ben. »Dann zeig ich dir, wie ich Armfurzen kann.« Er löste sich aus der Umarmung, steckte die Hand unter das T-Shirt und legte sie an die Achselhöhle. Dann bewegte er den anderen Arm auf und ab.
»Wow, ich hab das erst mit sieben Jahren gekonnt.« Peter lachte.
»Da kann er nun so tolle Sachen, aber stolz ist er auf seine Armfürze«, meinte Anya und schlurfte zu den Klängen von Bens neuester Darbietung in ihren Pantoffeln in die Küche. In gewisser Weise war sie stolz auf seine Streiche. Angst hatte sie lediglich davor, ein Kind zu haben, das sich in der Gemeinschaft nicht zurechtfand. Das war es, was ihr in ihrer Jugendzeit so zu schaffen gemacht hatte. Sich ohne jede Hemmung wie ein Vierjähriger zu benehmen war genau das Richtige für ihn.
Sie dachte kurz an Geoff Willard und fragte sich, ob seine Mutter wohl dieselben Ängste gehabt hatte, als er ein Kind gewesen war. Sie konnte immer noch nicht recht nachvollziehen, wie diese Frau auf die Nachricht von Geoffs möglicher Unschuld reagiert hatte, ganz so, als sei ihr dieser Gedanke nie zuvor gekommen.
Sie gab ein wenig Milch zu den aufgeschlagenen Eiern in die
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