In deinen schlimmsten Träumen: Roman (German Edition)
eines Mikroskops heranzukommen. Aus den Boxen drang beruhigende Musik.
»Mum, hier gibt’s Spinnen und Fliegen!«, rief er und sah durch die Linse. Sie musste lächeln. Ein ganzer Saal voller Tiere, und der Junge begeisterte sich am meisten für das, was er zu Hause auch sehen konnte.
»Ist tiefgefroren worden, der Gute«, lenkte Tim die Aufmerksamkeit auf Braunauge.
»Ich hätte nicht gedacht, dass das geht.«
»Nicht sehr viele Leute kennen sich mit Tierpräparation aus. Und die wenigen, die es tun, reden kaum darüber, vor allem, wenn sie Großwild für Jäger präparieren.«
Aufgrund ihrer wissenschaftlichen Arbeit hatte sie die Taxidermie immer nur mit Museen und dergleichen in Verbindung gebracht, nicht aber mit häuslichen Trophäensammlungen rund um den Globus.
»Was für ein Hund ist das? Sieht nach einem Mischling aus.« Tim roch am Fell.
»Spielt das eine Rolle?«
»Ja. Reinrassige Tiere lassen sich so gut wie nie einer DNA-Probe zuordnen. Da herrscht eine derartige Inzucht, dass die Profile innerhalb der Züchtung sich praktisch nicht mehr voneinander unterscheiden. Wenn es aber eine Promenadenmischung ist, so wie der hier, dann könnten wir durchaus Erfolg haben.«
»Wieso riechen Sie daran?«
»Es gibt unterschiedliche Arten, Tiere zu präparieren. Zum Beispiel kann man den Pelz über ein Drahtgestell spannen und es dann mit Holz und Wolle oder Kokosfasern auffüllen. Um es gegen Insektenbefall zu schützen, reibt man es von innen mit Borax oder Naphtalin ein.« Er hielt die Nase noch näher an den Pelz und atmete ein.
»Offenbar ist die Haut zum Teil schon von Kabinettkäfern zerfressen worden. Dem Gestank nach wurde er mit Insektenvernichtungsmittel eingesprüht.«
Anya war immer wieder fasziniert, wenn jemand leidenschaftlich über sein Fachgebiet referierte. Sie hatte einmal zwei Stunden lang voll konzentriert einem Angler zugehört, der ihr von den verschiedenen Methoden der Fliegenköderherstellung berichtet hatte. Mit der Tierpräparation würde sie aller Wahrscheinlichkeit nach so schnell nicht wieder in Berührung kommen.
»Und was wäre die andere Art?«
»Dieser Bursche hier wurde allem Anschein nach gefriergetrocknet.«
Kurz tauchte das Bild eines Hundes in der Gefriertruhe vor ihr auf. Die Vorstellung war völlig absurd, aber andererseits hatte sie noch nie eine so enge Beziehung zu einem Haustier gehabt, als dass sie sich gewünscht hätte, es bis in alle Ewigkeit als Möbelstück um sich zu haben.
»Es ist nicht so, wie Sie jetzt wahrscheinlich denken«, erklärte Tim. »Das Tier wird in Positur gebracht und dann in einer Anlage gefroren. Dadurch wird ihm das Wasser entzogen, das erst vereist und dann verdampft, daher der Ausdruck ›gefriergetrocknet‹. Der Vorgang dauert einige Wochen bis Monate. Man macht das bei Eidechsen und Haustieren, bei Fischen dagegen ist es etwas heikel.«
Ben war an einen runden Tisch mit Tierknochen weitergezogen und setzte gerade ein Skelett zusammen. Er schaute mit einem frechen Grinsen auf, winkte seiner Mutter zu und bastelte weiter. Ein Mädchen ungefähr im selben Alter saß ihm gegenüber am Tisch. Die beiden hatten bereits ein Gespräch angefangen, was Kindern meist sehr leichtfällt.
Sie bewunderte die hervorragende Gestaltung des Raums. Eltern konnten in einem Abschnitt Platz nehmen und die Kinder im Auge behalten, ohne ihnen dabei zu nah auf die Pelle zu rücken. Eine Reihe von geschmackvollen Lampen an einer abgehängten Leiste verliehen dem langgestreckten, lagerhallenartigen Saal etwas Lernfreundliches und doch Entspanntes. Eine Wand war von Bücherregalen gesäumt, während die Bodenfläche durch unterschiedlichste Module und superbequeme Sessel strukturiert war.
Es war ein Ort, an dem Anya Stunden zubringen konnte, und dank Ben tat sie das auch oft.
»Haben Sie sich die Originalprobe vom Labor kommen lassen?«, fragte sie und brannte darauf, endlich mit ihrem Sohn spielen zu können.
»Offen gestanden, ich hätte nicht gedacht, dass die überhaupt noch existiert, aber sie ist gestern aus dem Archiv gekommen. Die hat wohl vor x Jahren ein Anwalt vorbeigebracht und erklärt, woher sie stammt. Niemand im Labor wusste, was er damit anfangen soll, und von dem Anwalt hat man nie wieder etwas gehört. Also wurde sie datiert und ins Archiv gesteckt. Ein Glück, dass wir in diesem Beruf alle Sammler sind.«
Eine Schar von Kindern drängelte sich um den Mann im weißen Kittel, um zu sehen, was er tat. Aber ziemlich bald fanden
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