In den Armen des Eroberers
Tür.
Geschmeidig, heiter, aber alle Nerven bis zum Zerreißen gespannt, schwebte Honoria in den Salon.
Devil stand vor dem Kamin und fuhr herum, als sie eintrat. Wie immer musterte er sie rasch von Kopf bis Fuß. Heute aber hielt er inne, als er bei ihren silbernen Schühchen angelangt war, die unter dem Kleidersaum hervorlugten, um dann unerträglich langsam den Blick wieder an ihr hinaufgleiten zu lassen, an ihrer nilgrünen Robe, deren Seide wie eine zweite Haut ihre langen Glieder umgab. Honoria trug außer dem goldenen Kamm in ihrem hochgesteckten Haar keinerlei Schmuck. Plötzlich wurde sie sich der Intensität seines Blicks bewußt.
Ihr stockte der Atem.
Mit geschmeidigem Raubtierschritt durchmaß er den Raum, ohne sie aus den Augen zu lassen. Er streckte ihr die Hand entgegen, und ohne zu zögern überließ sie ihm ihre Finger. Er bedeutete ihr durch den Druck seiner Finger, sich langsam zu drehen, und sie tat es gehorsam. Sie spürte die Glut seines Blicks auf ihrem nur durch dünne Seide geschützten Körper. Als sie ihre Drehung vollendet hatte und wieder ihm zugewandt dastand, sah sie, wie seine Lippen sich zu einem Lächeln bogen. »Ich bin der Modistin zu Dankbarkeit verpflichtet.«
»Der Modistin?« Sie sah ihn lange an. »Und was, bitte sehr, fällt für mich ab?«
»Meine Aufmerksamkeit.« Mit den Worten zog Devil sie an sich. »Ungeteilt.«
Dem Druck seiner Hand in ihrem Rücken gehorchend, schmiegte Honoria sich an ihn und bot ihm ihre Lippen. Er kam ihr auf halbem Wege entgegen, und sie hatte das Gefühl zu schweben, als sie sich im Kuß fanden, warm und fest.
Honorias rastlose Hände kamen auf Devils Frackaufschlägen zur Ruhe; seine freie Hand legte sich um ihre in Seide gehüllte Hüfte. Ihre Haut glühte unter seinen Fingern, zwei Lagen Seide konnten es nicht verhindern. Bereitwillig sank sie in seine Arme, ergab sich seinen verführerischen Lippen und ihrem eigenen brennenden Verlangen.
Ein Zauber hielt sie beide gefangen; wie viele Minuten sie in diesem seelenbetäubenden Kuß zubrachten, hätten sie nicht sagen können. Schritte in der Halle setzten ihm ein Ende.
Devil hob den Kopf und blickte zur Tür; Honoria wartete, aber er trat nicht zur Seite. Sein einziges Zugeständnis, als die Tür sich öffnete und seine Mutter einließ, bestand darin, daß er die Hand von ihrer Hüfte nahm und sie mit der anderen, die auf ihrem Rücken lag, sanft zur Tür hin drehte. Weder durch Wort noch Tat beabsichtigte er zu vertuschen, daß er sie eben geküßt hatte.
Honoria blinzelte. Nur langsam konnte sie Devils Führung folgen; als die Herzogin-Witwe sie ansah, stand sie noch immer auf Zehenspitzen da, eine Hand auf Devils Brust. Die Herzogin-Witwe, ganz Grande dame, tat so, als bemerkte sie nichts. »Falls ihr bereit seid, meine Lieben, schlage ich vor, daß wir aufbrechen. Sinnlos, in diesem Salon zu warten.«
Devil neigte den Kopf und reichte Honoria den Arm; sie legte die Fingerspitzen darauf. Ihr war entschieden wärmer als bei ihrem Eintritt, als sie nun an seiner Seite den Raum verließ.
Die Fahrt zu George Cynsters Haus am Berkeley Square dauerte kaum fünf Minuten. Weitere fünf Minuten später fand sich Honoria, an Devils Seite, umringt von Cynsters. Der Salon wimmelte von Cynsters, von großen, hochmütigen Herren und gebieterischen Damen, die die übrigen zum Dinner geladenen Mitglieder des haut ton sämtlich in den Schatten stellten.
Honorias Robe machte Furore – sie hatte nicht gewußt, was sie erwarten sollte. Die Cynster-Damen lächelten ihr herzlich zu und nickten ermutigend, die Herren Cynster empfingen sie mit fassungslosem Staunen. Lucifer war es schließlich, der die Blicke in Worte übersetzte. »Ist Euch eigentlich klar, daß Ihr, wenn Devil sich Euch nicht geschnappt hätte, jetzt einer geschlossenen Belagerung gegenüberstehen würdet?«
Honoria versuchte, unschuldig dreinzuschauen.
Das Dinner wurde bereits um sieben Uhr serviert, der Ball begann um neun. Über den Lärm von zwanzig verschiedenen Gesprächen hinweg verkündigte Webster, den man sich für diesen Anlaß ausgeliehen hatte, daß das Mahl aufgetragen sei.
Devil führte seine Tante in den Speisesaal und überließ Honoria Vane. In Erinnerung an eine ähnliche Situation auf Tollys Begräbnis warf Honoria Vane einen Blick zu. »Springt Ihr immer für ihn ein?«
Zunächst reagierte Vane erschrocken, doch dann lächelte er. »Es wäre», sagte er leise mit dem für ihn typischen Hochmut,
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