In den Armen des Meeres
entkommen zu lassen, meine Liebe.«
Elysse hatte ihn wortlos angesehen. All ihre Gedanken kreisten darum, mit irgendjemandem Kontakt aufzunehmen und zu fliehen. »Ich werde also in diesem kleinen, schrecklichen Zimmer eingesperrt bleiben, bis mein Lösegeld gezahlt wurde?«
»Ich fürchte ja«, hatte er in ruhigem Tonfall erwidert.
Vermutlich sollte sie dankbar sein für kleine Dinge. Weder sie noch Lorraine waren verletzt worden. Sie hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass jeder Angriff auf Lorraine wie ein Angriff auf sie selbst betrachtet werden würde, und sie hatte Gautier gesagt, dass ihr Gemahl ein sehr rachsüchtiger Mann war.
Gautier hatte in heiterem Tonfall erwidert, dass er ihr das glaubte.
Man hatte ihnen Kleidung gegeben und Toilettenartikel, Papier, Stifte und Bücher. Es war ihr gestattet worden, an ihre Familie zu schreiben. Gautier wollte die Briefe mit Vergnügen für sie aufgeben, aber erst, nachdem er sie zensiert hatte.
Sie schrieb an Alexi, an ihre Eltern und an Ariella. Natürlich würde sie sich vermutlich schon auf der Heimreise befinden, wenn diese Briefe ankamen. Jedenfalls hoffte sie das.
Jetzt ging Elysse vorbei an ihrem Entführer und zu dem Stuhl, den er für sie zurechtrückte. Lorraine saß bereits am Tisch. Sie sah nicht gut aus. Sie hatte Gewicht verloren und dunkle Ringe unter den Augen. Die sonnenverbrannte Haut hatte sich geschält. Sie erschien jetzt viel blasser als vorher.
Von dem kleinen Handspiegel, den sie in ihrem Zimmer hatte, wusste Elysse, dass sie ebenso schrecklich aussah. Als sie sich setzte, lächelte sie ihrer Gefährtin zu. »Wie geht es dir, meine Liebe?«
Lorraine sah sie nur an. Sie musste nicht einmal etwas sagen.
Elysse nahm ihre Hand. »Es könnte schlimmer sein. Man hätte uns angreifen können. Und unser Lösegeld wird gezahlt werden. Das weißt du doch, oder?«
»Ich weiß«, flüsterte Lorraine. »Aber wir sind schon so lange hier.«
Elysse hatte die Tage gezählt – sie waren jetzt seit fünfundzwanzig Tagen eingesperrt. Es erschien ihr wie eine Ewigkeit. Sie war entschlossen, optimistisch zu bleiben und stets heiter und hoffnungsvoll zu wirken, aber sie fühlte sich viel verzweifelter und unsicherer, als sie es zeigte. Inzwischen hatte Alexi vermutlich Madagaskar im Indischen Ozean erreicht. Wenn er wüsste, in welcher Notlage sie sich befand, würde er umkehren und nach ihr suchen – daran zweifelte sie keinen Augenblick.
Wenn du verloren bist, werde ich dich finden. Wenn du in Gefahr bist, werde ich dich beschützen.
Dieses Versprechen hatte er ihr vor so langer Zeit gegeben, aber das spielte keine Rolle mehr. Ihr Glaube an ihn war alles, was sie hatte – ihre Hoffnung, ihre Rettung. Die vergangenen sechs Jahre erschienen ihr jetzt dumm und unbedeutend. Alexi war in Gedanken bei ihr, als wäre er an ihrer Seite, Tag und Nacht. Er war ihr Anker, ihre Stärke. Der Mann, an den sie nun unentwegt dachte, war der Mann, den sie schon ihr ganzes Leben lang kannte. Der Bräutigam, der sie gleich nach dem Ehegelübde im Stich gelassen hatte, ihn gab es nicht mehr. Der Mann, der sie sechs Jahre lang allein gelassen hatte, er war verschwunden. Hatte es ihn je gegeben? Wie hatte sie je anzweifeln können, was sie für ihn empfand? Alexi würde Berge für sie versetzen. Er würde sie aus dieser Hölle befreien, wenn er nur davon wüsste. Sie liebte ihn aus tiefstem Herzen, so wie keinen anderen, und das hatte sie schon immer getan. Rückblickend betrachtete sie jetzt ihre Beziehung in den letzten Monaten und erkannte den Grund für seinen Zorn. Er war eifersüchtig auf Blair, so wie er es auch auf Montgomery gewesen war. Alexi erwiderte ihre Liebe – das wusste sie genau.
Zu spät wünschte sie sich, sie wäre nicht das junge, eitle, kokette Dummchen gewesen und hätte nicht mit Montgomery und all ihren anderen Verehrern geflirtet. Sie wünschte, sie hätte der Gesellschaft nicht vorgemacht, sie wäre unabhängig, hätte nicht die Illusion genährt, eine welterfahrene Frau zu sein.
Wenn der Tag kommen sollte, an dem sie wieder in Alexis Armen lag, dann, so beschloss sie, würde sie ihm alles sagen.
Was Montgomerys Tod betraf, so fühlte sich Elysse, als hätte sie eine Erleuchtung gehabt. Es konnte keine Schuldgefühle mehr geben. Wenn sie wieder zusammen waren, dann würde sie dafür sorgen, dass Alexi die Vergangenheit überwand und verarbeiten konnte. Im Augenblick ging es darum zu überleben – und um ihre Zukunft, die sie gemeinsam
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