In Den Armen Des Schicksals
hat er noch Hoffnung. Mit einem zweideutigen Testergebnis würde sich diese Hoffnung extrem schmälern. Würdest du deine genaue Todesstunde wissen wollen? Oder dass du zu deinem Lebensende hin schreckliche Qualen leiden wirst? Es ist sicher nicht Feigheit, die deinen Freund davon abhält, nach Antworten zu suchen, im Gegenteil. Ein Leben in Unsicherheit erfordert unglaublich viel Mut.“
Fearnshader mit seinen unzähligen Räumen und endlosen Korridoren erschien Iain oft wie ein Gefängnis. Innerhalb dieser Mauern gab es nur einen wirklichen Zufluchtsort, in den er nicht einmal seine engsten Freunde einlud. Den Wintergarten hatte seine Mutter anlegen lassen, dafür war sogar ein Gewächshaus abgerissen worden, um ausreichend Platz zu schaffen. Seine Mutter war keine anspruchsvolle Frau gewesen, schon gar keine fordernde oder gierige, im Gegenteil. Sie hatte bescheidene Wünsche gehabt und einfach gelebt, trotz des Reichtums seines Vaters. Der Wintergarten und die anschließenden Gärten waren die einzige Extravaganz gewesen, die sie sich erlaubt hatte. Sie hatte sich immer nach dem Heim ihrer Kindheit in Sussex zurückgesehnt, wo das sehr viel mildere Klima längere Blütezeiten gewährte. Der Wintergarten hatte ihr über den Verlust hinweggeholfen.
Iains Vater hatte damals beim Bau an nichts gespart, und so war aus dem Wintergarten eine luxuriöse Oase inmitten der frostigen schottischen Winter geworden, ein Raum für elegante Empfänge und Partys, mit japanischen Laternen, die von den Dachsparren hingen, und exotischen Blüten, die ihren süßen Duft verströmten. In seiner Kindheit war Iain dieser Anbau oft als sein eigentliches Zuhause vorgekommen.
Als er nach dem Tode der Eltern zurückkehrte, hatte er den Wintergarten erschreckend vernachlässigt vorgefunden. Die üppigen tropischen Pflanzen, einst der ganze Stolz seiner Mutter, waren entweder abgestorben oder befanden sich in einem bedauernswerten Zustand. Iain hatte sofort einen Gärtner angeheuert, doch ohne die liebe- und hingebungsvolle Pflege seiner Mutter wollten die Pflanzen nie wieder richtig gedeihen. Der Wintergarten schien endgültig seinem Untergang geweiht.
Bis er ihn selbst übernahm.
Es war nicht unbedingt Arbeit nach seinem Geschmack. Als Kind hatte er an der Seite seiner Mutter unter ihrer behutsamen Anleitung Pflanzen ein- und umgetopft, hatte ihre Namen gelernt und alles über ihre Pflege. Als junger Mann war in ihm nur die Erinnerung an die gemeinsame Freude geblieben, wenn die Pflanzen sich für die sorgfältige Pflege mit üppigem Wachstum und Blüten bedankten. Als er sich dann jedoch dem Risiko gegenübersah, auch die letzte existierende Verbindung zu seiner Mutter zu verlieren, hatte er begonnen, nachzulesen und zu experimentieren.
Jetzt, Jahre später, hatte er traurig dahinsiechende Arten gesund gepflegt und andere nach der Kladde seiner Mutter ersetzt. Er hatte auch eigene Favoriten hinzugefügt, Kamelien und Passionsblumen und eine Magnolie, die so selten war, dass er sich auf ein Pokerspiel hatte einlassen müssen, um sie zu gewinnen. Jetzt stand hier auch ein Springbrunnen, der sich in einen Teich, zugewachsen mit Iris und Seerosen, ergoss, in dem muntere Goldfische schwammen. Mit der Zeit war der Wintergarten zu seiner Passion geworden und wahrscheinlich auch zu seiner Rettung. Heute jedoch war es weder das eine noch das andere. Heute Morgen war er aufgestanden, hatte alte Jeans und ein noch älteres Rugbyshirt angezogen und war noch vor dem Frühstück hergekommen. Inzwischen war es Nachmittag, und er war bisher kein einziges Mal aus den gläsernen Wänden herausgetreten. Er hatte in der Arbeit aufgehen und den zerbrechlichen Seelenfrieden schaffen wollen, den er hier so oft fand, doch heute wollte sich der Erfolg nicht einstellen.
Die Worte des MacFarlane-Fluchs liefen immer und immer wieder in seinem Kopf ab, eine monotone Litanei. Als er Billie von der Tür her seinen Namen rufen hörte, glaubte er fast, dass er sie aus der Asche seiner verglimmenden Hoffnungen hatte auferstehen lassen.
Er drehte sich um und sah zu ihr hin, sorgsam darauf achtend, keine Regung in seinem Gesicht zu zeigen. Dann wandte er sich wieder seiner Arbeit zu.
Augenscheinlich hatte sie auch nicht erwartet, willkommen geheißen zu werden. Sie kam durch den Raum und stellte sich neben ihn. „Ich wusste gar nicht, dass du Gärtner bist.“
Er stutzte und schnitt mit einer messerscharfen Rosenschere eine Ranke ab, die er hatte erhalten wollen.
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