In den eisigen Tod
noch weiterzugehen. Sollte er sich, obwohl sein linkes Bein kürzer war als das rechte – das Erbe seiner Verwundung aus dem Burenkrieg –, über eine solche Strecke zu Fuß und auf Skiern abmühen, würde das seine Kraft und sein Durchhaltevermögen aufzehren. In seinem Tagebuch war schon von Problemen mit den Sehnen seines rechten Knies und seinen Füßen die Rede gewesen.
Aus dem Brief, den Oates an seine Mutter schrieb, werden seine gemischten Gefühle deutlich. Er hatte schon früher eingeräumt: »Das Regiment und vielleicht die ganze Armee würden sich freuen, wenn ich zum Pol ginge.« 6 Er versicherte ihr nun, dass er selbst erfreut sei und sich gesund und gut fühle, aber: »Von mir aus werden wir also zum Pol gehen. Wir befinden uns jetzt 93 Kilometer von Shackletons südlichstem Punkt entfernt.« 7 Doch im weiteren befasste sich der Brief mit dem Heimweh nach Gestingthorpe und den Renovierungen dort, mit Kleidern, die er für seine Rückkehr gern zugeschickt bekäme, und mit Plänen, ein Stutfohlen zu kaufen. Er ließ seinen Schwestern und seinem Bruder Grüße bestellen und schloss: »Gott segne Dich und halte Dich bei guter Gesundheit, bis ich heimkomme« – übrigens das einzige Mal, dass er in seinen Briefen Gott erwähnt. Zu den anderen Dingen, um die er bat, gehörten Tabak, Zigaretten und eine große Dose Karamelbonbons. Er versuchte, sich einzureden, dass er schon durchkommen werde, und der Brief ist mitleiderregend, wenn man ihn im Zusammenhang mit Atkinsons Kommentar über ihren Abschied sieht; dieser behauptete nämlich, Oates habe »gewusst, dass er am Ende war – sein Gesicht verriet es und die Art, wie er sich bewegte«. 8
Was bezweckte Scott mit der Absicht, Bowers mitzunehmen? Es bestanden keine Bindungen aus alter Zeit, und Bowers war ursprünglich nicht einmal Mitglied der Landgruppe gewesen, sondern hatte langsam, aber sicher Scotts Bewunderung erregt. Er war natürlich sehr kräftig. Nach der Winterreise nach Cape Crozier hatte Scott über ihn geschrieben, er sei »der zäheste Reisende, der je eine Polarreise unternommen hat, und der unerschrockenste«, und hatte seine unverwüstliche Energie und erstaunliche Statur erwähnt. Er schätzte Bowers auch wegen seiner organisatorischen Fähigkeiten, seiner phänomenalen Arbeitskraft, doch vielleicht vor allem wegen seiner unerschütterlichen Treue. Letztere war für Scott in derselben Weise eine Quelle der Kraft und ein Trost, wie Wilson ihm Mut einflößte. Mit Sicherheit bildeten Wilson und Bowers ein beeindruckendes Gespann. Wie Cherry-Garrard sich später erinnerte: »Es war leicht, tapfer zu sein, wenn Bill und Birdie in der Nähe waren.« 9
Scott brauchte vielleicht auch Bowers’ Können als Navigator. Er hatte ursprünglich erwogen, zwei Navigatoren zum Pol mitzunehmen – woran man sieht, welche Bedeutung er dem beimaß –, und das Navigieren war gewiss einer seiner eigenen Schwachpunkte. Seine Kenntnisse waren verkümmert, und er hatte verlernt, wie man mit dem Theodolit umging, den er statt eines Sextanten mitgebracht hatte. Wilsons, Oates’ und Edgar Evans’ Fähigkeiten waren sogar noch beschränkter. Zwar war Teddy Evans ein erfahrener Navigator, aber Scott hatte gar nicht erst erwogen, einen Mann mitzunehmen, den er im Grunde für verbraucht und für die Pol-Gruppe ungeeignet hielt. Bowers’ Fähigkeiten bedeuteten dementsprechend eine willkommene Ergänzung.
Dennoch handelte es sich bei der Entscheidung für Bowers wahrscheinlich vor allem um einen spontanen Beschluss. Scotts Gefährten von der Discovery -Expedition hatten oft bemerkt, dass er impulsiv war und dazu neigte, Entscheidungen rasch und ohne vorherige Beratung zu treffen. Die Tatsache, dass er nur drei Tage zuvor Bowers befohlen hatte, seine Skier einzulagern, so dass er zu Fuß weitergehen musste, während die anderen mit Skiern fuhren – eine anstrengende und unnötige Plackerei –, legt den Schluss nahe, dass Scott zu diesem Zeitpunkt, trotz des Eintrags auf dem Vorsatzblatt seines Tagebuchs, noch nicht beabsichtigte, Bowers zum Pol mitzunehmen. In genau derselben Weise hat Scott vielleicht spontan beschlossen, fünf Männer mitzunehmen statt vier. Sicherlich würde mit der Zeit deutlich werden, dass Scott nicht aufgehört hatte, die praktischen Auswirkungen in ihrer Gänze zu berücksichtigen. Vielleicht kam er einfach zu dem Schluss, dass der Einsatz eines weiteren Mannes, der beim Ziehen des Schlittens helfen würde, einen Vorteil bedeutete,
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