In den eisigen Tod
immer unter seiner Sehnenzerrung. Später hielten sie auf die Moräne unterhalb des Mount Buckley zu, den Scott so interessant fand, dass er beschloss, dort zu kampieren. Scott beschrieb ein paar Stunden angenehmen Herumschlenderns: »Wir befanden uns unter senkrecht abfallenden Klippen aus Beacon-Sandstein, der rasch verwitterte und wirkliche Kohlensäume aufwies. Hier hat Wilson mit seinen scharfen Augen verschiedene Abdrücke dicker Pflanzenstengel ausgemacht, die ihre Zellstrukturen erkennen ließen. An einer Stelle sahen wir den Abdruck kleiner Wellen auf dem Sand. Heute Abend hat Bill eine Kalksteinprobe mit Archäozyathiden gefunden ... Insgesamt verlebten wir einen hochinteressanten Nachmittag.« Wilson gelang es sogar, ein paar Bleistiftskizzen des Mount Buckley anzufertigen.
Zweifellos wirkten sich die Pause vom Schlitten ziehen und die Erleichterung darüber, sich an einem vor den rauhen Gipfelwinden geschützten Ort zu befinden, auf die hungrigen und erschöpften Männer positiv aus. Wichtiger für ihre Moral war allerdings die Tatsache, dass sie sich dem widmeten, wofür sie hierhergekommen waren, nämlich der wissenschaftlichen Forschung. Nach der Schmach ihrer verspäteten Ankunft am Pol konnten sie wieder auf etwas stolz sein und sich auf die Unterschiede besinnen, die zwischen ihrem sorgfältig geplanten Programm wissenschaftlicher Arbeit und Amundsens opportunistischem Wikingerüberfall bestanden. Amundsen hatte ganz bewusst beschlossen, sich auf seiner Rückreise durch gar nichts von der schnellstmöglichen Rückkehr nach Framheim ablenken zu lassen – nicht einmal von der Aussicht, irgendwelche neuen geographischen Merkmale zu entdecken. Ob es sich bei Scotts Geologisieren um ein großartiges Beispiel für den Dienst an der Sache oder um eine törichte Zeitvergeudung handelte, hängt vom jeweiligen Standpunkt des Betrachters ab. Dadurch kamen jedenfalls fast weitere 16 Kilogramm auf einen Schlitten, auf dem bereits fünf Seesäcke, ein Kocher, eine Gerätebox, Zwiebackkisten, ein Paraffintank und ein Zelt aufgestapelt waren. Andererseits sollten diese Gesteinsproben zum ersten Mal beweisen, dass Antarktika früher einmal mit Vegetation bedeckt und Teil eines großen halbtropischen südlichen Erdteils – des sogenannten Gondwanalandes – gewesen war, das man bis dahin nur für einen Mythos gehalten hatte. So haben Wissenschaftler des British Antarctic Survey anerkannt:
»Die Pflanzenfossilien .. . , die auf dem Beardmore-Gletscher gesammelt und zusammen mit ihren Leichen gefunden wurden, waren von besonderer Bedeutung. Obwohl es der Expedition nicht gelungen war, als erste den Pol zu erreichen, waren ihre wissenschaftlichen Leistungen mehr als ausreichend, um ihre Unternehmung zu rechtfertigen. Amundsen gewann zwar den Wettlauf, aber seine Anstrengungen waren im Hinblick auf wissenschaftliche Erkenntnisse praktisch ergebnislos.«
Auch am folgenden Tag geologisierten sie noch einmal auf ihrem Marsch und genossen jetzt, da sie das grauenhafte Polarplateau hinter sich hatten, die milderen Temperaturen. Scott klingt entspannter und zuversichtlicher: »Es ist schon etwas Bemerkenswertes, vor dem Zelt stehen und sich sonnen zu können. Unser Essen sättigt uns jetzt, aber wir müssen weitermarschieren, damit die vollen Rationen nicht ausgehen, und dabei bräuchten wir doch Ruhe. Aber wir werden es, mit Gottes Hilfe, schon schaffen. Wir sind keineswegs ausgelaugt.« Hier finden sich keine Hinweise auf den Zustand von Evans oder Oates, sondern es wird der Anschein erweckt, als profitierten auch sie von der Veränderung der Bedingungen. Vielleicht hat Scott aber auch versucht, sich einzureden, dass sich wirklich alles zum Besten wenden würde. Man wird es nie erfahren.
Doch am 11. Februar ging wieder alles schief. Der Boden war miserabel, und ihre Reise artete rasch zum Alptraum aus, als sie sich in einem Labyrinth von Pressrücken verirrten. Es war der schlimmste Tag ihrer ganzen Exkursion, zurückzuführen auf eine verhängnisvolle Entscheidung: Sie hofften, sie könnten, wenn sie in östlicher Richtung weitergingen, die Pressrücken hinter sich lassen. Doch nachdem sie stundenlang den Schlitten gezogen hatten, schienen sie in einem ganzen Netz von Spalten gefangen zu sein. Sie wandten sich hierhin und dorthin und erblickten schließlich einen sanfteren Abhang, aber dieser lag weit entfernt und jenseits einer Fläche, die von Spalten ganz zerrissen war. Gegen zehn Uhr morgens, nach zwölf Stunden
Weitere Kostenlose Bücher