In den eisigen Tod
genannt hatte. Sie schlugen ihr Lager auf und kochten einen guten, heißen hoosh . Scott sorgte sich um seinen Kameraden. Vielleicht zum ersten Mal begriff er, dass der Mann, den er für einen Goliath und den stärksten von ihnen allen gehalten hatte, unter der langen Schlepperei bis zum Pol am meisten gelitten hatte.
Evans wog am meisten und hätte – theoretisch – größere Rationen bekommen sollen als die anderen. Wie Cherry-Garrard bemerkte, brauchen größere Maschinen auch mehr Treibstoff. Dr. Michael Stroud, der im Polarsommer 1992/93 seinen Schlitten selbst bis zum Pol gezogen hat, rechnete aus, dass Evans zu dem Zeitpunkt, als er den Pol erreichte, mehr Gewicht verloren haben musste als alle anderen, vielleicht über 15 Kilogramm, was etwa einem Fünftel seines Körpergewichts entsprochen hätte. 4 Da er sich in einer »schwierigen Verfassung« befand, müsste sich der Verlust hauptsächlich auf seine Muskeln ausgewirkt haben mit der Folge, dass seine Zugkraft beeinträchtigt wurde. Ein besorgter Scott bemerkte, dass Evans sehr geschwächt schien, mit schlimmen Blasen an den Fingern und mit Frostbeulen. Er stellte noch etwas Beunruhigenderes fest: Evans schien »auf sich selbst böse zu sein«. Der gewöhnlich übersprudelnde und selbstsichere Waliser verlor sein Selbstvertrauen. An körperliche Schwäche nicht gewöhnt, hatte er Angst davor, seine Kameraden im Stich zu lassen, und wirkte zunehmend niedergedrückt und verschlossen. Dieser zögerliche, besorgte Evans war nicht mehr zu vergleichen mit dem Mann, der auf der Discovery -Expedition mit Scott in eine Spalte gestürzt war und sich, über einem eisigen Abgrund baumelnd, seelenruhig mit ihm unterhalten hatte.
Scott unterzog den Rest des Teams einer bangen Musterung. Er gelangte zu dem Schluss, dass er selbst, Wilson und Bowers so fit waren, wie die Umstände es erlaubten, obwohl Wilson von Schneeblindheit gequält wurde, denn er hatte versucht, Skizzen anzufertigen, und verwendete nun zur Schmerzlinderung eine kokainhaltige Salbe. Am 24. Januar nannte Scott Wilson und Bowers »meine Stützen« und fügte hinzu: »Mir gefällt es nicht, wie leicht Oates und Evans sich Erfrierungen zuziehen.« Tatsächlich hatte sich einer von Oates’ großen Zehen schwarz verfärbt, und er befürchtete insgeheim, dass er dadurch am Marschieren gehindert würde. Scott machte sich auch zunehmend über die Blizzards und Stürme Gedanken, mit denen sie es zu tun hatten. »Wird das Wetter umschlagen? Wenn ja, dann helfe uns Gott – bei dem grauenhaften Gipfel und unserer dürftigen Kost.« Da sie wegen der Entscheidung, Ponys einzusetzen, erst spät zur Polreise aufgebrochen waren, sahen sie sich nun auf dem Plateau in vorgerückter Jahreszeit sinkenden Temperaturen ausgesetzt. Die dünne Luft des Plateaus machte die Dinge auch nicht gerade besser. Amundsens Männer, die besser ernährt und weniger entkräftet waren, hatten die Bedingungen schwierig genug gefunden. Auf Scott und sein erschöpftes Team wirkte sich die Atemnot auf dem Plateau sehr lähmend aus. Es hätte Scott nicht getröstet, wenn er gewusst hätte, dass sein Rivale am 26. Januar Framheim erreichte – nach einer Reise, die nur 99 Tage gedauert hatte und von der die Männer und die Hunde bei robuster guter Gesundheit zurückkehrten. Amundsen und seine Gefährten krochen um vier Uhr morgens in die Hütte von Framheim, und es war ein Hochgenuss für sie, deren schlafende Bewohner mit einer beiläufigen Bitte um Kaffee zu wecken.
Sie marschierten weiter – Oates mit seinem schmerzenden Fuß, Evans mit schlimmen Frostbeulen an Nase und Fingern, Wilson mit seiner Schneeblindheit und alle miteinander mit immer quälenderem Hunger. Der Mangel an Vitaminen und die Unternährung setzten ihnen geistig und körperlich zu. Scott beobachtete, wie dünn alle aussahen, vor allem Evans. Ihre Gespräche drehten sich immer mehr um das Essen – Bowers hatte angefangen, davon zu phantasieren, sich nach Beendigung der Reise den Bauch vollzuschlagen, doch da noch ungefähr 1300 Kilometer vor ihnen lagen, wusste er, dass solche Träume verfrüht waren. Sein unmittelbares Problem war: »Ich habe jetzt Sorgen bezüglich des Essens, da wir kein Salz mehr haben, eines meiner liebsten Nahrungsmittel.«
Der 30. Januar war ein schlimmer Tag. Wilson holte sich eine Sehnenzerrung am Bein, Oates hatte gestanden, dass sein großer Zeh sich blauschwarz verfärbte, während Evans allmählich seine Fingernägel verlor. Scott
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