In den eisigen Tod
durch seine Stürze auf dem Gletscher und durch sein Verzagen beschleunigt worden war. Wilson glaubte, Evans habe sich wohl bei einem Sturz eine Gehirnverletzung zugezogen. Was auch immer die Ursache des Todes ihres Gefährten gewesen sein mochte – es war für die vier Überlebenden ein grauenvoller Moment, der ihnen ihre eigene Verletzbarkeit überdeutlich vor Augen führte, zumal noch so viele Meilen vor ihnen lagen. Doch gleichzeitig hatte der Tod auch den Weg aus einem grässlichen Dilemma gewiesen. Scott merkte an: »Es ist schrecklich, auf diese Weise einen Gefährten zu verlieren, doch nüchterne Überlegung zeigt, dass es für die fürchterlichen Sorgen der vergangenen Woche kein besseres Ende geben konnte ... in was für einer verzweifelten, ausweglosen Lage wir waren, mit einem kranken Mann am Hals, so weit entfernt von zu Hause.«
Später, als Scott wusste, dass er selbst wahrscheinlich sterben würde, schrieb er, dass Evans’ Tod ihnen eine grausige Entscheidung erspart habe, da »die Sicherheit der übrigen seine Selbstaufopferung zu fordern schien«. Er war dankbar dafür, dass Evans eines natürlichen Todes gestorben war – was bedeutete, dass er nicht Selbstmord begehen musste, oder sogar, dass er seine Kameraden nicht gebeten hatte, ihm mit Opium zum Gnadentod zu verhelfen. Sie hätten ihn niemals verlassen, solange er lebte, doch es wäre unmöglich gewesen, ihn auf dem Schlitten zu ziehen. So konnten sowohl Scott als auch Wilson mit Stolz verzeichnen, dass sie sich nichts hatten »zuschulden« kommen lassen.
Scott und seine Begleiter hielten nach Edgar Evans’ Tod zwei Stunden Wache – er war das erste Opfer einer Reise, die sich für sie alle als zu weit erweisen sollte. Was sie mit seiner Leiche machten, ist nicht bekannt.
Kapitel 16
Hätten wir überlebt ...
Am nächsten Tag marschierte das Quartett der Überlebenden grimmig entschlossen weiter. Kathleen schrieb in ihr Tagebuch: »Ich war den ganzen Abend sehr mit Dir beschäftigt. Ich frage mich, ob Dir gerade irgend etwas Besonderes widerfährt. Zwischen neun und zehn Uhr morgens ist etwas Seltsames mit den Uhren passiert.« Sie fühlte sich, entgegen ihrer Art, deprimiert und musste gegen eine Vorahnung ankämpfen. Man erzählt sich, dass Peter um diese Zeit darum bat, von seinem Schaukelpferd heruntergehoben zu werden, zur Tür rannte und rief: »Hallo, Daddy!«, aber Kathleen glaubte nicht an das Übersinnliche. 1 Dennoch grübelte sie über Scotts ewige Pechsträhne nach, und gegenüber Sir Compton Mackenzie, der ihr zu jener Zeit Modell saß, äußerte sie die Befürchtung, dass ihn dieses Pech daran hindern würde, zum Pol zu gelangen.
Nachdem sie sich beim Lower-Glacier-Depot fünf Stunden Schlaf gegönnt hatten, erreichten Scott und seine Gefährten Shambles Camp, jenen trostlosen Ort, wo das letzte der Ponys geschlachtet worden war; ein »gutes Abendessen« mit Ponyfleisch belebte sie ein wenig, wie Scott schrieb: »Mit mehr Essen scheint fast unmittelbar neues Leben in uns zu strömen.« Sie konnten sich damit trösten, dass das Plateau und der tückische Gletscher hinter ihnen lagen, aber jetzt mussten sie sich der Schinderei stellen, die ein fast 750 Kilometer langer Marsch über das Ross-Schelfeis bedeutete, wo die einzige Gewissheit in der geisttötenden Eintönigkeit einer öden Landschaft bestand. Sie bereiteten sich, so gut sie konnten, darauf vor, tauschten ihren Schlitten gegen einen neuen aus, den sie im Depot zurückgelassen hatten, und beluden ihn mit Ponyfleisch. Doch sie stellten bald fest, dass der Boden mit weichem, salzigem Schnee bedeckt war. Ein unglücklicher Scott verglich die Mühe mit einem »Ziehen wie über Wüstensand, ohne das mindeste Gleiten«. Er wusste, dass sie ein ordentliches Tempo einhalten mussten, um die über das Ross-Schelfeis verteilten Depots mit den lebensnotwendigen Vorräten zu erreichen, ehe ihnen die Nahrungsmittel und der Brennstoff ausgingen. Hier ist man erinnert an Shackletons Rückkehr von seiner großen Reise nach Süden, als er den makabren Satz schrieb: »Unsere Nahrung liegt vor uns, aber von hinten schleicht sich der Tod an uns heran.« 2
Scott setzte seine Hoffnungen auf einen Wetterumschwung. Ein frischer Wind aus Süden würde es ihnen erlauben, ihr Segel zu setzen, und könnte sie über das Eis sausen lassen. Selbst ein nicht allzu heftiger Schneesturm hätte ihnen geholfen, wenn er die frisch gefallenen Eiskristalle weggefegt hätte, die den Schlitten bremsten.
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