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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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Doch kein freundlicher Wind kam ihnen zu Hilfe. Während sie sich voranquälten, dachte Scott darüber nach, ob das Fehlen des tragisch umgekommenen fünften Mannes eine Hilfe oder ein Hindernis bedeutete. Er gelangte zu folgendem Schluss: »Das Fehlen des armen Evans ist eine Hilfe in bezug auf die Verpflegung, aber wenn er in guter Verfassung dabeigewesen wäre, wären wir schneller vorangekommen.« Am 20. Februar taumelten sie in das Desolation Camp, in dem sie auf der Hinreise ein Schneesturm vier katastrophale Tage lang festgehalten hatte. Hoffnungsvoll suchten sie nach mehr Ponyfleisch, aber sie fanden es nicht.
    Scott ließ sich von seiner pessimistischen Stimmung niederdrücken. Während sie weiter trotteten, bestanden die einzigen »Strahlen des Trostes« darin, die Spuren und Steinhaufen der Hinreise zu finden. Dies war nicht leicht, und manchmal stellten sie fest, dass sie vom Kurs abgewichen waren. Scott war aufs äußerste angespannt, hielt angestrengt Ausschau nach jedem neuen Steinhaufen, beurteilte ängstlich den Zustand des Bodens auf dem Ross-Schelfeis und fragte sich, was das Wetter bringen würde. Am 24. Februar fasste er die Herausforderung in Worte: »Es ist ein Wettlauf zwischen der Jahreszeit und ihren harten Bedingungen und unserer Verfassung und der Qualität unserer Nahrung.« Er hätte hinzufügen können, dass es bei dem Wettlauf auch darum ging, die Strecke zurückzulegen, ehe ihnen der Brennstoff ausging. An diesem Tag hatten sie, während sie Vorräte aus dem Southern-Barrier-Depot entnahmen, eine besorgniserregende Knappheit an Öl festgestellt. Die Brennstoffration war sorgfältig berechnet worden – Kanister mit fast vier Litern Inhalt waren in jedem Depot für die Rückkehrergruppen zurückgelassen worden. Doch das Öl war extremer Hitze und Kälte ausgesetzt gewesen. So waren die Kanister oft an einer leicht zugänglichen Stelle auf der Spitze der Steinhaufen abgestellt worden, und in der Sonnenwärme war das Öl durch die in der Kälte undicht gewordenen Stöpsel hindurch verdunstet. Scott bemerkte, dass sie »sehr sparsam« gewesen wären, und von nun an sind seine Tagebücher voll mit besorgten Hinweisen auf die Brennstoffsituation und den Zwang, noch größere Entfernungen zurücklegen zu müssen.
    Während der Monat zu Ende ging, sank die Temperatur ständig. Am 27. Februar beschrieb Scott das Wetter als »bitterkalt« Die Oberfläche des Eises wurde immer unangenehmer. Sie war jetzt »mit einer dünnen Schicht körniger Kristalle überzogen … Diese waren zu festgefroren, um vom Wind davongetragen zu werden, und entwickelten einen unmöglichen Reibungswiderstand gegen die Kufen.« Scott wusste, dass ihre Lage kritisch war. Alles hing jetzt davon ab, dass sie jedes Depot rechtzeitig erreichten. Er stellte endlose Berechnungen an – wie viele Vorräte an Lebensmitteln und Brennstoff waren für wie viele Tage übrig? Abgesehen von allem anderen wirkte auch das Ross-Schelfeis selbst deprimierend auf ihn – es gab nichts zu sehen, keine Wärme, keinen Trost auf dieser riesigen Eisfläche. »Zweifellos ist die Mitte des Schelfeises ein ziemlich scheußlicher Ort«, schrieb er in dem Bewusstsein, dass sie noch immer 555 Kilometer zu ziehen hatten. Wilson stellte jetzt seine Eintragungen ins Tagebuch ein. Er lebte ganz nach seinem Ideal, »sich um die eigene Seele und den eigenen Körper überhaupt nicht zu sorgen und sich nur um das Wohlbefinden anderer zu kümmern«, und so blieb ihm weder die Zeit noch die Kraft zu schreiben. 3 Oates hatte sein Tagebuch am 24. Februar aufgegeben, an dem Tag, als der arme »Soldier«, der so gerne Fleisch aß, Christophers Kopf ausgegraben hatte, nur um festzustellen, dass dieser bereits verwest war. Von nun an war Scott der einzige, der Tag für Tag die Ereignisse festhielt.
    Am 1. März erreichten sie das Middle-Barrier-Depot, und das Unglück schlug gleich dreifach zu. Erstens stellten sie eine weitere ernsthafte Knappheit an Brennstoff fest – er reichte kaum aus, um sie bis zum nächsten Depot zu bringen, das mehr als 111 Kilometer entfernt war. Zweitens konnte Oates den entsetzlichen Zustand seiner Füße nicht mehr geheimhalten und zeigte ihnen seine erfrorenen, brandigen Zehen. Hier hatten die bitterkalten Temperaturen auf dem Ross-Schelfeis ihren Tribut gefordert. Drittens fiel die Temperatur in dieser Nacht unter minus 40 Grad, und sie froren so sehr, dass sie am folgenden Morgen eineinhalb Stunden brauchten, um sich in ihre

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