In den eisigen Tod
Stiefel hinein zu quälen. Scott nahm kein Blatt vor den Mund, als er schrieb: »Wir befinden uns in einer sehr üblen Klemme.«
Von da an ist Scotts Bericht von kaum verhohlener Verzweiflung geprägt. Unterdessen kämpften sie sich weiter und schafften nicht einmal zwei Kilometer in der Stunde, obwohl er die Tapferkeit seiner Begleiter anerkannte: »Unter uns sind wir unendlich frohen Mutes, doch was jeder Mann in seinem Herzen fühlt, kann ich nur ahnen. Morgens in die Stiefel zu kommen verschlingt immer mehr Zeit, deshalb wird jeder Tag gefährlicher.« Es dauerte auch immer länger, die schmerzenden und empfindlichen, mit Frostbeulen übersäten Gliedmaßen in die Schlafsäcke zu zwängen, die durch den gefrorenen Schweiß und Atem immer schwerer und steifer wurden. Scott holte sich Stärkung und Trost bei Wilson und Bowers, weil er wusste, dass er selbst nicht imstande sein würde, damit fertigzuwerden, wären sie »nicht so unerschütterlich guten Mutes«. Er war sich schmerzlich bewusst, in welchem Zustand Oates sich befand, und wusste, dass ein Kälteeinbruch für den »Soldier« den Untergang bedeuten würde. Am 5. März schrieb er: »Wir haben furchtbar wenig Brennstoff, und der arme Soldier ist fast am Ende seiner Kräfte. Es ist mitleiderregend genug, weil wir nichts für ihn tun können.« Keiner von ihnen hatte auf dem Ross-Schelfeis so entsetzlich niedrige Temperaturen erwartet, und nach Oates litt Wilson am meisten: »Ich fürchte hauptsächlich deswegen, weil er sich in aufopfernder Weise um die Behandlung von Oates’ Füßen bemüht.«
Am 6. März konnte der arme Oates den Schlitten nicht mehr ziehen. Er klagte nie und wurde tatsächlich von Tag zu Tag schweigsamer. Er wusste wohl, was ihm bevorstand, und fand sich damit ab, dass er nie wieder nach Gestingthorpe kommen, noch mit der Meute jagen, noch seine Mutter wiedersehen würde. Er wusste, dass er jetzt für die anderen ein Hemmschuh war. Auch Scott wusste das, und er schrieb: »Wären wir alle gesund, hätte ich Hoffnung durchzukommen, aber der arme Soldier ist ein schrecklicher Hemmklotz geworden, obwohl er sein Äußerstes tut und viel leidet.« Die Lösung lag für Oates klar auf der Hand. Er erinnerte sich wohl an seine Diskussionen mit Ponting in Cape Evans, als er behauptet hatte, dass Selbstmord die einzige ehrenhafte Lösung für einen Schlittenzieher sei, der seine Kameraden in Gefahr brachte.
Die folgenden Tage waren grauenhaft – drei Männer mühten sich ab, das zu ziehen, was eine zu schwere Last geworden war, und ein vierter fragte sich, wie lange er noch eine Last sein sollte. Am 7. März schrieb Scott, dass »die Krise des Soldier« nahe bevorstand, deutete aber an, dass sie nun für sie alle rasch näher rückte. Er selbst war entschlossen weiterzugehen: »Ich möchte bis zum Ende durchhalten«, schrieb er trotzig. Viel würde davon abhängen, was sie im nächsten Depot vorfinden würden. Waren die Hunde mit frischer Verpflegung dort gewesen? Würde der Brennstoff reichen? Als sie am 9. März am Depot beim Mount Hooper ankamen, stellten sie fest, dass alles knapp war, und fanden nur einen »kalten Trost« – »die Hunde, die unsere Rettung hätten sein können, hatten offensichtlich versagt«, notierte Scott grimmig. Tatsächlich hatten die Hunde seit dem 3. März beim One-Ton-Depot auf die Pol-Gruppe gewartet, doch eine Woche später, nachdem sie ein paar Vorräte eingelagert hatten, hatten sich ihre Treiber, Cherry-Garrard und Dimitri, wieder nach Norden gewandt.
Unterdessen kursierten Anfang März Gerüchte in London, Scott habe als erster den Pol erreicht. Doch Kathleen vertraute ihrem Tagebuch an: »Ich war mir sicher, dass irgend etwas nicht in Ordnung war.« Am 7. März kam mit Amundsens Ankunft in Tasmanien der sichere Beweis dafür, dass der Norweger gesiegt hatte. In Großbritannien reagierte man erwartungsgemäß gedämpft, aber auch das Lob für Amundsen fiel gemäßigt aus, weil ihm unterstellt wurde, dass er sich nicht an die Spielregeln gehalten habe. The Times erklärte, dass sein plötzlicher Entschluss, nach Süden und nicht nach Norden zu fahren, und die Geheimniskrämerei, die diese Entscheidung umgeben hatte, »so empfunden wurde, als entspreche sie nicht ganz dem Geist eines fairen und offenen Wettbewerbs, der bis dahin die Antarktisforschung gekennzeichnet hatte«. Kathleen reagierte mit der für sie typischen Würde und Großzügigkeit auf den Triumph des Norwegers, schrieb aber: »Ich habe
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