In den eisigen Tod
gesamten Expedition. Nachdem Kathleen einen seiner Briefe aus der Antarktis erhalten hatte, schrieb sie an die Royal Geographical Society: »Mein Mann wird immer vom entsetzlichsten PECH verfolgt!« 1 Amundsen hätte für diese Sichtweise wohl wenig Verständnis aufgebracht. Er glaubte, dass »denjenigen der Sieg erwartet, der für alle Fälle vorgesorgt hat – so etwas nennen die Leute Glück. Die sichere Niederlage steht demjenigen ins Haus, der versäumt hat, rechtzeitig die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen – das wird dann Pech genannt.« 2 Doch dies ist, auf Scott angewandt, ein zu strenges Urteil. Er musste eine Reihe von Unglücksfällen hinnehmen, die sich mit der Unerbittlichkeit einer griechischen Tragödie aufeinander auswirkten.
Scott hatte recht mit seiner Behauptung, dass er es im Dezember 1911 sowohl am Fuße des Beardmore-Gletschers als auch auf seinem verhängnisvollen Rückweg über das Ross-Schelfeis in Richtung McMurdo Sound im März 1912 mit außergewöhnlich schlechtem Wetter zu tun hatte. Susan Solomon, eine führende amerikanische Klimaforscherin, die für ihre Arbeiten in der Antarktis zum Thema Ozonloch über dem Kontinent mehrfach ausgezeichnet wurde, hat in ihrem Buch The Coldest March dargelegt, dass die Bedingungen in beiden Fällen außergewöhnlich waren. 3
Mit Hilfe von Daten, die zwei moderne Wetterstationen im Gebiet des Beardmore-Gletschers, eine davon direkt am Fuße des Gletschers, über mehrere Jahre hinweg automatisch aufzeichneten, belegt Susan Solomon, dass der schlimmste Dezembersturm nur zwei Tage dauerte und Windstärken von 65 km/h erreichte. Der Sturm, in den Scott geriet, tobte vier Tage lang (vom 5. bis 8. Dezember 1911) und ging, den meteorologischen Expeditionsaufzeichnungen zufolge, mit Winden von einer Stärke um 130 km/h einher. Auf einem Kontinent, auf dem die meisten Schneestürme mit starken Winden verbunden sind, die die vorhandenen Eiskristalle aufwirbeln, und auf dem der jährliche Niederschlag bei etwa 10 bis 15 cm und am Südpol direkt bei nur wenig über 2,5 cm liegt, war Scott in diesen vier Tagen mit fast ununterbrochenem Schneefall konfrontiert, weil warme, feuchte Luft ungewöhnlich weit über das Ross-Schelfeis getrieben wurde. Für Scott bedeutete dies, dass es ihm nicht nur während der vier Tage des Sturms, sondern auch unter den anschließend sehr schwierigen Bedingungen unmöglich war, sich fortzubewegen. Der Schnee reichte den Männern bis über die Stiefelränder und zum Teil sogar bis zu den Knien, was das Ziehen der Schlitten, die ihrerseits in den Schnee einsanken, laut Scotts untertreibender Darstellung, »äußerst anstrengend« machte.
Bowers führte fast bis zum Ende detaillierte Wetterbeobachtungen durch und verwandte dafür die von George Simpson, dem späteren Leiter des Britischen Wetterdienstes, sorgfältig geeichten Instrumente. Auch Simpson verfasste in Cape Evans penible meteorologische Berichte. Susan Solomon, die diese Daten mit jenen der automatischen Wetterstationen entlang Scotts Rückweg über das Ross-Schelfeis verglich, konnte belegen, dass über einen Zeitraum von fünfzehn Jahren die Märztemperaturen nur in einem einzigen Jahr ähnlich waren wie im März 1912 und dass die Temperaturen in eben jenem März 1912, mit denen Scott zu kämpfen hatte, 6 bis 12 Grad unter den durchschnittlichen Märztemperaturen lagen.
Bei seiner Planung hatte Scott auf eine von Simpson erarbeitete Prognose der zu erwartenden Wetterbedingungen gesetzt, die Susan Solomon als »in ihrer Genauigkeit verblüffend« bezeichnete. Die Auswirkungen des gegenüber den Vorhersagen viel schlechteren Märzwetters waren vielschichtig. So wurden zur Aufrechterhaltung der Körperwärme nicht nur mehr Kalorien verbrannt, auch die Essenszubereitung dauerte länger und verbrauchte mehr Brennstoff. Es kam schneller zu schweren Erfrierungen. Man brauchte länger, um schmerzhafte und empfindliche Gliedmaßen, die an Erfrierungen litten, in steifer gefrorene Schlafsäcke und Stiefel zu zwängen. Vor allem aber veränderten die niedrigeren Temperaturen die Oberflächenbeschaffenheit des Ross-Schelfeises, weil Eis- und Schneekristalle körnig wurden und die Schlittenkufen bremsten, was Scott zu folgender Feststellung veranlasste: »[Ziehen wie über Wüstensand], ohne im mindesten zu gleiten … wir wissen, dass wir unter diesen Bedingungen nicht einmal die Hälfte unserer früheren Strecken zurücklegen können und für diese Anstrengung fast das
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