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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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Grammophon, um zu Scotts Begrüßung die Nationalhymne abzuspielen. Ich stand da und wartete lange, aber niemand kam. Ich ging wieder hinaus, und da standen drei Männer mit Bärten, mit Eis bedeckt, schmutzig wie Schornsteinfeger.« Ein betrübter Cherry-Garrard vertraute Anfang April seinem Tagebuch folgendes an: »Wir müssen dem nun ins Auge sehen. Die Pol-Gruppe wird höchstwahrscheinlich niemals zurückkommen. Und wir können nichts mehr tun.«
    Als der einzige Marineoffizier, der noch übrig war, hatte Atkinson das Kommando übernommen. Teddy Evans war inzwischen mit der Terra Nova zurückgekehrt, während Campbell und seine Männer in einem Iglu bei Evans Coves, an der Küste auf der Höhe von Cape Adare eingeschlossen waren, wo sie gelandet waren, nachdem sie festgestellt hatten, dass Amundsen sich in der Bay of Whales niedergelassen hatte. Atkinson unternahm nun einen erfolglosen Versuch, zu Campbell durchzudringen. Doch am 24. April ver schwand die Sonne und damit jede realistische Hoffnung, noch irgend jemanden zu retten. Die Mitglieder der Expedition waren bemüht, sich ständig zu beschäftigen und nicht in düstere Gedanken zu verfallen. Doch es war wohl ein unheimliches Gefühl, in der Hütte von Cape Evans stets mit den leeren Kojen ihrer Gefährten konfrontiert zu sein. Es gab keinen Scott mehr, der mit dem eifrigen Birdie an seinem mit Linoleum bezogenen Tisch saß und Rationen für die Schlittengruppen errechnete, keinen weisen Onkel Bill, der von seinen Skizzen aufblickte und ein freundliches Wort sagte, keinen Oates, der die Wissenschaftler aufzog und Quatsch machte, und auch keinen Edgar Evans, der auf dem Mannschaftsdeck herumbrüllte. Wie Ponting bemerkt hatte, waren die Männer mit den außergewöhnlichsten Persönlichkeiten für immer verschwunden.
    Das Dilemma, in dem Atkinson steckte, war nun, ob er seine Kräfte für die Rettung Campbells einsetzen oder ob er versuchen sollte, sobald wieder die Zeit für Schlittenreisen gekommen sein würde, herauszufinden, welches Schicksal Scott ereilt hatte. Er hatte die Frage bei Wintereinbruch an Cherry-Garrard gerichtet, und dieser hatte geantwortet, dass er zu Campbell gehen solle: »Gerade damals erschien es mir undenkbar, dass wir wegen der Suche nach Toten lebende Menschen im Stich lassen sollten.« Doch möglicherweise wäre es der Terra Nova auf ihrer Reise nach Norden gelungen, Campbell und seine Leute aufzulesen. Andererseits: Wären Campbell und seine Leute nicht von der Terra Nova gerettet worden, hätten aber den Winter auf dem Eis überlebt, hätte das Schiff sie auf seinem Rückweg nach Süden, nach Cape Evans, erreichen können. Doch von Cape Evans aus hätte eine Landgruppe vielleicht früher zu Campbell und seinem Team gelangen können als die Terra Nova .
    Es stand zweifellos fest, dass Scott und seine Kameraden umgekommen waren. Allgemein war man der Ansicht, dass sie – wahrscheinlich in dem höllischen Labyrinth des Beardmore-Gletschers – in eine Spalte gestürzt waren, wenn auch Lashly und Crean glaubten, dass sie an Skorbut erkrankt seien. Doch tot oder lebendig – sie hatten sicherlich die Pflicht, einen Versuch zu unternehmen und herauszufinden, was tatsächlich geschehen war. Wie Cherry-Garrard bemerkte: »Das erste Ziel der Expedition war der Pol gewesen. Wenn keine Beweise gefunden würden, würde die Frage, ob sie erfolgreich oder gescheitert waren, für immer offen bleiben.« Selbst wenn die Chance, ihre Leichen zu finden, gering war, so hatte Scott doch peinlich genau darauf geachtet, dass in den jeweiligen Depots Nachrichten hinterlassen wurden. Am Mittwintertag versammelte Atkinson die ganze Gruppe um den Tisch und legte seine Argumente dar. Die Entscheidung fiel einstimmig. Wenn das Wetter es erlaubte, würden sie nach Süden aufbrechen und nach dem Schicksal der Pol-Gruppe forschen. Es war ein Beschluss, dessen Richtigkeit im Nachhinein bestätigt wurde, während Campbell und seine Gruppe Mitte November aus eigener Kraft wohlbehalten nach Cape Evans zurückkehrten.
    Gegen Ende Oktober zog also die Suchmannschaft los. Am 12. November machten sie 20 Kilometer südlich des One-Ton-Depot ihre grauenhafte Entdeckung. Wright sah rechts von ihm etwas, was er für einen Steinhaufen hielt, daneben irgend etwas Schwarzes, und ging, vom Kurs abweichend, darauf zu. »Es ist das Zelt«, sagte er leise zu den anderen, die ihm nachgelaufen waren. 5 Jemand wischte eine Schneewehe beiseite und legte die grüne Klappe des

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