In den eisigen Tod
Eisscholle auf, nur um darüber hinweg zu trippeln und auf unserer Seite ins Wasser zu springen, dann tauchten sie mit anscheinend außerordentlicher Geschwindigkeit wieder auf und schnellten ganz nahe beim Schiff auf eine Eisscholle hoch. Hier legten sie eine Pause ein und starrten uns aus ihren weit aufgerissenen Augen erstaunt an.« Besonders verblüffte sie, wenn die Seeleute ihre Rufe nachahmten.
Seehunde waren ebenfalls in reichem Maße vorhanden – Krabbenfresser und Ross-Seehunde dösten träge auf den Schollen. Da sie an Land keine natürliche Feinde hatten, waren sie wehrlos und leicht zu schießen und dienten als Nahrung wie zu Forschungszwecken. Das Deck war mit Blut überspült. Bei seiner Abscheu vor Grausamkeiten gegen Tiere und seinem Horror vor Blut muss es für Scott schwer erträglich gewesen sein. Wilson verbrachte einen ganzen Tag von Kopf bis Fuß in Blut gebadet. Vom Seehundfleisch wurden Haut und Speck entfernt, und dann wurde es im Tauwerk aufgehängt, das in der Kälte als Vorratskammer diente.
Am 5. Januar wurde ein verspätetes Weihnachtsfest gefeiert, und die Mannschaft beschloss, ihre Skier auszuprobieren. Wenige waren zuvor je auf Skiern gestanden, und die Heiterkeit war groß, als sie Wettrennen über das Eis veranstalteten, aufeinander zufuhren und umfielen. Uns heute, die wir uns inzwischen daran gewöhnt haben, dass großer Wert auf Planung und Training gelegt wird, erscheint es merkwürdig, dass sie nicht schon früher geübt hatten. Nur drei Tage später hatten sie das Packeis schon hinter sich gelassen. Plötzlich waren sie ringsum vom offenen Meer umgeben, und die bleierne Wolkenglocke, die sie begleitet hatte, hatte sich gelichtet. Noch am gleichen Tag sichteten sie die unter der Mitternachtssonne glitzernden Gipfel des Victoria Land. Bernacchi beschrieb, dass das Wasser aus einer Masse bebender, changierender Farben bestand, während Bänke tief violetter, von der Sonne beleuchteter Wolken alles in ein seltsames Strahlen tauchten. Die Männer blieben bis zur Morgendämmerung wie angenagelt auf Deck stehen.
In einem gewissen Sinne kehrte Bernacchi nach Hause zurück, denn Scott steuerte auf die Robertson Bay zu, die durch die lange Halbinsel von Cape Adare gebildet wird, wo Bernacchi und Borchgrevink mit der Southern Cross überwintert hatten. Dort erwartete sie ein Empfangskomitee. Cape Adare ist ein Brutplatz für die kleinen, nach der Frau des französischen Forschers Dumont d’Urville benannten Adéliepinguine, die in den Felswänden nisten. Kleine schwarze Gestalten mit weißer Hemdbrust wackelten den Neuankömmlingen entgegen, und dazu schrieb Bernacchi: »Wir sahen den geordneten Kommunismus ihres Lebens.« Der Lärm und der Gestank waren überwältigend. Ihr Kot, der aussah und roch wie Sardellenpaste, lag überall herum. Die Vogeleltern trotteten unablässig zur See hinunter und watschelten mit Nahrung für ihre aufmüpfigen Jungen wieder zurück.
Die Hütte der Southern - Cross -Expedition stand genau in der Mitte dieser Kolonie und beherbergte einen in englischer Sprache abgefassten Brief, den der Norweger für den nächsten Forscher zurückgelassen hatte. Scott las ihn seinen Gefährten vor, die sich halb krank lachten und sich über die mangelhafte Rechtschreibung, die Schwülstigkeit und die allgemeine Nutzlosigkeit des Schreibens lustig machten. Skelton beklagte, dass über die Vorräte überhaupt nichts Hilfreiches darin stand. Bernacchi schien das ziemlich gekränkt zu haben, obwohl er Borchgrevink nicht für einen so guten Führer gehalten hatte wie später Scott. Er kletterte auf einen Berg in der Nähe, um das Grab seines ehemaligen Kollegen Nikolai Hanson zu besuchen, des Naturforschers, der auf der Expedition mit der Southern Cross gestorben war und der zu jener Zeit der einzige Mensch war, der auf dem antarktischen Kontinent begraben war.
Scott fuhr weiter. Bis jetzt war das Glück auf seiner Seite gewesen, aber der nächste Tag führte die Discovery an den Rand einer Katastrophe. Den Bug nach Süden gerichtet, geriet sie in die Fänge einer gewaltigen Strömung. Scott schilderte die Angst, das Gefühl der Hilflosigkeit, das noch verschlimmert wurde durch die stille Schönheit, die sich um sie herum ausbreitete:
»Über uns schien die Sonne an einem wolkenlosen Himmel; ihre Strahlen wurden von unzähligen Punkten des gleißenden Packeises zurückgeworfen; hinter uns lagen die hohen, verschneiten Berge ... die Luft über uns war beinahe atemlos
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