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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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still; [alles war] frisch, klar und sonnig, und es schien eine Atmosphäre zu herrschen, in der die ganze Natur jauchzen sollte; die Stille wurde nur durch das schwere Keuchen unserer Maschinen und die langsame, gemessene Stille der knirschenden Eisschollen unterbrochen; doch unter allem floss diese mächtige, unerbittliche Flut und trug uns unserer möglichen Zerstörung entgegen. Es schien entsetzlich unwirklich, dass inmitten einer so schönen Landschaft Gefahr drohen konnte.«
    Vor ihnen erstreckte sich eine Phalanx von Eisbergen, glitzernd und hart wie Diamant. Erst im allerletzten Augenblick ebbte die Flut ab, die zusammenhängenden Eisschollen lockerten ihren Griff, und die Discovery dampfte hinaus in die offene See und damit in die Sicherheit.
    Die Discovery fuhr nun nach Süden an der Ostküste von Victoria Land entlang und hielt einem Sturm stand, der, mitten im Sommer, so kalt und so heftig war, dass das Meerwasser gefror, während es gegen das Deck peitschte. Sie folgten Ross’ Route und erreichten Mitte Januar eine Öffnung in der Felswand. Eine Szene von so vollkommener Schönheit und Stille bot sich ihren Blicken dar, dass Wilson schwor, sie niemals zu vergessen. Seehunde aalten sich unter der nicht untergehenden Sonne, und das Eis um sie herum changierte in smaragdgrünen, azurblauen und aquamarinfarbenen Tönen. Doch wieder einmal musste der Künstler zum Schlächter werden. Ein so großes Versteck von Tieren durfte man nicht so einfach zurücklassen, und so wurden 30 Seehunde und zehn Kaiserpinguine getötet. Wie Wilson schrieb, war es »eine Pflicht ganz gegen den Strich«, und für Scott war es noch schlimmer: »Es schien eine schreckliche Entweihung, nur an diesen ruhigen Ort zu kommen, um seine unschuldigen Bewohner umzubringen und den weißen Schnee mit Blut zu besudeln; aber die Bedürfnisse sind oft scheußlich, und der Mensch muss leben.« Er und einige andere zogen mit ihren Skiern los, um sich den Anblick und das Geschrei des Gemetzels zu ersparen.
    Dieser liebenswerte und elegante Vogel und die verspielten Seehunde waren in zweierlei Hinsicht wertvoll: Sie leisteten einen Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung, füllten aber auch die Vorratskammer. Scott wusste, dass frische Nahrung für eine gesunde Kost entscheidend war, aber er wusste nicht, wie seine Männer auf Seehundsteaks und Pinguin-Kasserolle reagieren würden. Und er wusste auch nicht, wie er selbst es vertragen würde, denn er räumte mit Bedauern ein, dass er in solchen Angelegenheiten einen schwachen Magen habe. Er konnte nicht zu den strikten Maßnahmen Zuflucht nehmen wie seinerzeit noch Cook, der seine Männer auspeitschen ließ, weil sie kein Sauerkraut aßen, und war deshalb erfreut zu sehen, dass die meisten seiner Leute einen gesunden Appetit für die örtlichen Genüsse an den Tag legten. Besonders Seehundleber galt bald als Delikatesse, vor allem, wenn sie in Pemmikan oder Speckfett gebraten war.
    Die Discovery schwenkte nach Süden und begann mit der Erforschung des Ross-Schelfeises. Es gab eine Riesenaufregung, als sie etwas, was wie der Fußabdruck eines großen Landsäugetiers aussah, auf einer mit weichem Schnee bedeckten Eisscholle fanden. Bald hingen Kameras über der Bordwand, aber man stellte rasch fest, dass die Spur von Schwimmfüßen und wahrscheinlich von einem großen Sturmvogel stammte, der sich halb laufend, halb fliegend in die Lüfte erhoben hatte. Am 22. Januar gelang es ihnen, auf Cape Crozier, am nordöstlichen Rand der Ross-Insel, zu landen. Die Entscheidung zur Landung traf Scott, ohne sich vorher mit seiner Mannschaft zu beraten. Alle – Wilson, Hodgson und Royds – bemerkten diese Neigung Scotts, plötzlich und ohne Diskussionen irgendwelche Schritte zu unternehmen. Vielleicht spiegelte sich hier jene alte Gewohnheit aus Kindertagen wider, ins Träumen zu geraten und dann auf einmal feststellen zu müssen, dass etwas getan werden musste. Das alte Schreckgespenst der Geistesabwesenheit suchte ihn mit Sicherheit noch heim – sein junger Steward Clarence Hare erzählte später, Scott habe einmal Milch und Zucker über ein Currygericht geschüttet. 1
    Scott, Wilson und Royds kletterten auf einen 410 Meter hohen Vulkankegel, um auf das Ross-Schelfeis herabzublicken. Scotts Beschreibung bringt das Gefühl der Erhabenheit zum Ausdruck: »Der Rand des Ross-Schelfeises sah im Schatten wie ein langes, immer schmaler werdendes Band aus, das mit leichten Windungen nach Osten, zum Horizont,

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