In den eisigen Tod
»Du wirst zum Pol fahren. O mein Gott, wozu besitzt man Tatkraft und Unternehmungsgeist, wenn eine solche Kleinigkeit nicht erreicht werden kann? Es muss erreicht werden, also beeil dich und lass nichts unversucht.« 13 Der junge Norweger Tryggve Gran, der Scott auf seiner letzten Expedition begleitete, schilderte Kathleen später als »eine sehr, sehr clevere Frau, sehr, sehr energisch ... sehr ehrgeizig ... Ich glaube, dass Scott nur ihretwegen in die Antarktis gefahren ist.« 14
Sie beschlossen, ihre Verlobung endlich öffentlich bekanntzugeben, und die Monate der qualvollen Unschlüssigkeit hatten ein Ende. Praktische Probleme wie die Frage, wo sie nach ihrer Hochzeit wohnen sollten, gewannen die Oberhand. Sie pachteten ein georgianisches Haus in London. Es hatte acht Zimmer und ein Gartenatelier, in dem Kathleen bildhauern konnte. Doch Scott machte sich weiterhin Sorgen und schrieb: »Mein Mädchen, mir ist ein wenig bange, ganz vage. Du bist so ungewöhnlich, und ich [bin] so konventionell.« Es waren, wie er zugab, Zweifel an sich selbst, nicht an ihr. Sie war eine Freidenkerin, und er war durch »die Zurückhaltung eines ganzen Lebens..., die nicht leicht zu brechen ist«, verkrüppelt. Er bekannte, früher einmal ein Träumer, ein Enthusiast, ein Idealist gewesen zu sein, aber die Erinnerung daran gab ihm das Gefühl, alt zu werden. In einem besonders ergreifenden Geständnis schrieb er: »Der träumende Teil von mir war und ist ein Misserfolg.« 15 Jetzt war es Kathleen, die ihn beruhigte und wieder ins Gleichgewicht brachte. Es war paradox, dass dieser Mann der Tat über eine fast weibliche Empfindsamkeit verfügte – Cherry-Garrard sollte feststellen, dass er nie einen Mann gekannt hatte, der so nahe am Wasser gebaut hatte –, während Kathleen als männlich galt.
Es wurde beschlossen, dass die Hochzeit in Hampton Court gefeiert werden sollte. Scott gab Kathleen schriftlich sorgfältige Anweisungen über die Einladungen und erinnerte sie: »Eine gemeinsame Karte kann an Gemahl und Gemahlin sowie an ihre Töchter geschickt werden, aber Söhne bekommen eigene Karten – auch Schwestern und Brüder, die zusammenleben, eigene Karten – pass auf, dass Details, wie Titel und Formen generell stimmen.« 16 Er scheint sich auch über den Hochzeitskuchen Sorgen gemacht zu haben, denn er schrieb ihr: »Mutter sagt, es würde nicht angehen, keinen Hochzeitskuchen zu haben; die Leute würden das komisch finden.« 17 Kathleen stand solchen Details offensichtlich gleichgültig gegenüber.
Es war auch typisch für Kathleen, dass sie sich überhaupt keine Gedanken über das Hochzeitskleid, die Aussteuer und das übrige Hochzeitszubehör machte, das in der feinen Gesellschaft als unentbehrlich galt. Sogar ihr Bruder Rosslyn staunte über ihre Einstellung. Er war selbst so etwas Ähnliches wie ein Exzentriker; man munkelte, er habe in Oxford einen Elefanten gehalten, weil die Hausordnung des College keine Hunde zuließ. Er verbrachte auch einen großen Teil seines Lebens damit, Mäuse in exotischen Farben, von Lavendelblau bis Lindgrün, zu züchten. Aber selbst er schrieb jetzt, dass »Kiddie«, wie er sie seit ihrer Kindheit nannte, zu weit ging: »Sie will nicht, dass er ihr irgendeinen Schmuck schenkt, nicht einmal einen Ring, und sie will sich auch nicht den üblichen Schleier und die Orangenblüten gefallen lassen.« 18
Doch Scott wusste genau, wie er an seine Braut zu appellieren hatte: »Die ernsthafte Überlegung geht dahin, dass Du, wenn wir verheiratet sind, nicht nur hübsch aussehen musst (was Du ohnehin tust), sondern Du musst aussehen, als gäbe es überhaupt keine Armut ... denk nur daran, was ich empfinde, wenn ich sozusagen ›teuer‹ angezogen bin, während Deine Kleider den Geist der Sparsamkeit atmen ... ich bin in bezug auf die äußere Erscheinung schrecklich empfindlich.« 19 Der Vorfall hob die Unterschiede zwischen ihnen noch einmal krass hervor – Scotts für die Mittelschicht typische Sorge um das Äußere gegen Kathleens für die Oberschicht typische Gleichgültigkeit in bezug auf das, was andere dachten. Im Grunde war es eine Frage des Selbstvertrauens, und Kathleen war bei weitem die Selbstbewusstere. Aber natürlich wurde sie schwach. Wie die Presse berichtete, heiratete sie am 5. September 1908 in einem weißen Satinkleid mit einem Oberteil aus Chiffon und einem Schleier aus Tüll. Zu der aus 150 Personen bestehenden Hochzeitsgemeinde gehörten auch Rodin und seine Frau. Während
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