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In den eisigen Tod

In den eisigen Tod

Titel: In den eisigen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana H. Preston
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kein Ersatz für eine Mutter. Kathleen wuchs rastlos heran und heischte ständig nach Aufmerksamkeit.
    Sie und ihre Geschwister verstanden es zweifellos, die Leute auf Trab zu halten. Ihre ältere Schwester Podge erinnerte sich später daran, dass nach einem Krach an Kathleens Schule die Eltern »gewarnt wurden, ihre Kinder mit diesen schrecklichen Bruce-Mädchen verkehren zu lassen!!!« 4 Als ihr Großonkel starb, blieben Kathleen nur 72 Pfund im Jahr, und sie verbrachte ihr Leben teils in verschiedenen Internaten, teils bei ihrer Schwester Elma und deren Mann, Kanonikus Keating, einem langweiligen und trübsinnigen Paar. Es war eine entsetzliche und spartanische Existenz für dieses übersprudelnde Mädchen mit den strahlenden Augen, das beachtet werden wollte und nach Zuneigung gierte. Das Hin und Her ihrer frühen Jahre vermittelte ihr das Gefühl, eine Zigeunerin zu sein, die es sich leisten konnte, mit wenig Gepäck durchs Leben zu reisen. Sie maß Besitz oder Aussehen niemals große Bedeutung bei.
    Nach dem Besuch der Slade School of Fine Art in London begann Kathleen in Paris ein Leben als nahezu mittellose Kunststudentin. Sie schrieb sich als Schülerin bei einem beliebten Atelier, der Académie Colarossi, ein und erlernte die Zeichenkunst, zog aber bald die Bildhauerei vor. Wie viele junge Frauen ihrer Klasse und ihrer Zeit war sie sehr unschuldig. Der Anblick eines nackten männlichen Modells, das für einen Aktzeichenkurs posierte, verursachte ihr Übelkeit. Doch sie passte sich rasch und frohen Herzens einem unkonventionellen Lebensstil an. Da sie niemals wirkliche mütterliche Zuneigung gekannt hatte und ein Wildfang gewesen war, brachte sie wenig Zeit auf für Angehörige ihres eigenen Geschlechts, es sei denn, sie fielen völlig aus dem Rahmen. Schon bald gab sie die Kurse auf, die ausschließlich für Frauen gedacht waren – dames seules oder mit dem von ihr gutgeheißenen Spitznamen »damned souls« genannt –, besuchte gemischte Kurse und errang Popularität bei den männlichen Studenten, die sich von ihrem auffallenden Äußeren und ihrer Lebensfreude angezogen fühlten. Sie hatte einen Wust dunkler Haare, lebhafte blaue Augen und eine athletische Figur.
    Ihre Anziehungskraft hatte nichts mit der Art und Weise zu tun, wie sie sich kleidete. In späteren Jahren wurde sie als eine der am schlechtesten angezogenen Frauen Londons beschrieben. Doch sie besaß unbestreitbar Sex-Appeal und genoss die Macht, die sie damit über Männer besaß. Sie gab zu, dass sie ihre Bewunderung »so aufregend, so stimulierend, so sonnig« fand. Ihre Tagebücher lassen den Schluss zu, dass sie zu dem Zeitpunkt, als sie Scott kennenlernte, mit Ende 20 also, noch Jungfrau war. Sie behauptete, sich für einen Mann aufgehoben zu haben, der würdig sei, den Sohn zu zeugen, dem sie bereits ihr Herz geschenkt hatte. Das war sicherlich wahr – sie musterte jeden Mann, der sie interessierte, mit der Sachlichkeit eines Genforschers –, aber hinter dieser entschlossenen Keuschheit verbarg sich vielleicht etwas Tiefgründigeres.
    Kathleen studierte fünf Jahre lang in Paris, und es hätte schwerlich eine berauschendere Umgebung für sie geben können. Sie pflegte schon bald ungezwungenen Umgang mit den damals bedeutendsten Künstlern, einschließlich Picassos und Rodins. Rodin, der sie unterrichtete und ermutigte, machte sie auch mit der amerikanischen Tänzerin Isadora Duncan bekannt und forderte beide auf, einander zu helfen. Sie wurden Freundinnen, und Isadora bat Kathleen, bei der Geburt ihres Kindes dabei zu sein. Die Schwangerschaft sollte geheim gehalten werden, und, um die Presse von der Fährte abzulenken, bat Isadora Kathleen, sie solle ihre Kleider anziehen und am Strand herumtanzen. Später begleitete sie Isadora und ihre Familie, oder die »tanzenden Vagabunden«, wie sie sie nannte, nach Griechenland, wo sie im Freien schliefen und tanzten, um die Morgenröte zu begrüßen.
    Kurz nach dieser Zurück-zur-Natur-Phase kehrte Kathleen nach London zurück, um als Bildhauerin zu arbeiten, lernte Scott kennen und bezauberte ihn mit ihren Erzählungen über das Vagabundenleben und ihrer wunderbaren Sonnenbräune. Diesem schüchternen, zurückhaltenden Marineoffizier muss sie wie ein Wesen aus einer anderen Welt erschienen sein. Sicherlich war er, wie wir gesehen haben, seit ihrer zweiten Begegnung von ihr betört. Kathleen wiederum war von seinen offenkundig noblen Eigenschaften gerührt. Er hatte etwas Beruhigendes an

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