In den Fängen der Macht
und gewusst haben, wo man einen Lastkahn mieten konnte. Vielleicht war dies auch der Inhalt der Nachricht, die er erhielt, bevor er seine Räumlichkeiten verließ und in der Nacht verschwand. Ich frage mich, wie Merrit Alberton in dieses Bild passte, wenn ihre Flucht von Zuhause der Auslöser war, der das Geschehen in Gang setzte.«
Lanyon gab einen brummenden Laut von sich. »Ihre Rolle in dem Ganzen würde mich auch interessieren. Wie viel Ahnung hatte sie, welche Art von Mann Breeland wirklich war? Und was ist sie im Augenblick – Geliebte oder Geisel?«
»Sie ist sechzehn«, erwiderte Monk und vermochte nicht zu sagen, was er damit eigentlich meinte.
Lanyon antwortete nicht. Sie waren wieder am Ufer angekommen. Auf beiden Flussseiten spien hohe Schornsteine schwarzen Rauch aus, der sich nach oben zog und den Himmel verdunkelte. Aus den Dächern massiver Schuppen schwangen sich Räder, die wie die Schaufelräder unvorstellbar großer Dampfschiffe wirkten. Eine Erinnerung aus irgendeiner Vergangenheit sagte Monk, dass die Londoner Hafenanlagen ungefähr hundert Schiffe aufnehmen konnten. Allein die Lagerhäuser für Tabak bedeckten fünf Morgen. Er konnte den Tabak nun sogar riechen, daneben den Teer, Schwefel, das Salz der Flut, den Gestank der Tierhäute und den Duft von Kaffee. Um ihn herum erklangen der Lärm von Arbeit und Handel, Schreie, das Klingen von Metall auf Metall, von Holz, das über Stein schrappte, von sich brechenden Wellen und dem Jammern des Windes.
Ein Mann ging an ihnen vorüber, sein Gesicht war von dem Indigo, den er entlud, blau gefärbt. Hinter ihm ging ein Schwarzer mit einem reich verzierten Wams, wie es vielleicht ein Schiffskapitän tragen würde. Ein fetter Mann mit grauem Haar, das sich um seinen Kragen lockte, trug einen Zollstock mit Messingspitze, von der Alkohol tropfte. Ein Dutzend Schritte entfernt standen Stapel von Fässern. Der Mann hatte sie untersucht, um ihren Inhalt zu prüfen, er war Eichmeister.
Einen Moment lang umgab sie die süßlich scharfe Duftwolke eines Gewürzes, dann mussten Monk und Lanyon sich ihren Weg um ein Sack Korkrinde herum bahnen, dann um gelbliche Behälter voller Schwefel und bleifarbene voller Kupfererz.
Zwanzig Schritte von ihnen entfernt versüßten sich ein paar Matrosen die Arbeit, indem sie gemeinsam sangen.
Lanyon hielt einen Zollbeamten an und erklärte ihm, wer er sei, ohne dabei näher auf Monk einzugehen.
»Ja, Sir«, sagte der Zollbeamte hilfsbereit. »Worum geht es denn?«
»Um dreifachen Mord und Diebstahl aus einem Lagerhaus an der Tooley Street, letzte Nacht«, erwiderte Lanyon knapp. »Wir glauben, die Waren wurden auf einen Lastkahn verladen und flussabwärts gebracht. Vermutlich kam der Kahn gegen ein oder zwei Uhr morgens hier vorbei.«
Der Zöllner biss sich zweifelnd auf die Lippe. »Ich selbst weiß nichts, aber vielleicht haben Sie eine bessere Chance, wenn Sie es beim Fährmann versuchen, oder gar bei den Wracktauchern. Die arbeiten oft auch während der Nacht, suchen nach Leichen und so was. Man kann nie sagen, was der Fluss alles mit sich führt. Sie suchen nicht nach Leichen, oder?«
»Nein«, erwiderte Lanyon grimmig. »Wir haben alle Leichen, die wir brauchen. Ich wollte ohnehin den Fährmann und die Wracktaucher befragen. Aber ich dachte, Sie wüssten vielleicht von Schiffen, die aus dem Hafen in Richtung Amerika auslaufen wollten, vor allem solche, die heute Morgen auslaufen sollten.«
Auf dem bekümmerten Gesicht machte sich ein sarkastischer Zug breit, als ob der Mann sich der Ironie bewusst wäre.
Er zuckte die Achseln. »Nun, wenn das der Fall gewesen wäre, nehme ich an, hätte sich Ihr Mörder und Dieb damit längst aus dem Staub gemacht.«
»Ich weiß«, stimmte Monk ihm zu. »Es wird mir nicht recht weiterhelfen. Aber ich muss mich vergewissern. Es kann sein, dass er hier Komplizen hat. Es war mehr als ein Mann vonnöten, um das auszuführen, was letzte Nacht geschah. Wenn ihm ein Engländer dabei half, dann will ich das Schwein kriegen und es hängen sehen. Der Amerikaner mag irgendeine Rechtfertigung für sich finden, wenn auch nicht vor meinen Augen, aber unsere Landsleute werden keine finden. Sie hätten die Tat nur wegen des Geldes begangen.«
»Na, dann kommen Sie mit in mein Büro, ich werde mal nachsehen«, bot der Zollbeamte an. »Ich glaube, die Princess Maude könnte mit der ersten Flut ausgelaufen sein, ihr Ziel war auch Amerika, aber ich muss mich vergewissern.«
Lanyon und Monk
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