In den Fängen der Macht
Gesicht hab ich nie klar gesehen. Es war noch vor der Dämmerung. Sie müssen ziemlich gute Fahrt den Fluss abwärts gemacht haben, wenn sie nördlich von Rotherhithe abgelegt haben. Aber er hatte eine Pistole im Gürtel, das hab ich so deutlich gesehen, als ob er vor mir stehen würde. Und er hatte Blut an den Händen, verschmiert wie…«
»Blut?«, rief Lanyon scharf. »Sind Sie sicher?«
»’türlich bin ich sicher«, erwiderte der Fährmann mit stetem Blick und grimmigem Gesicht. »Ich hab doch die rote Farbe gesehen, als er unter der Ankerlampe hindurchging, und auf seiner Hose und seinem Hemd waren dunkle Flecken. Aber ich hab mir zu dem Zeitpunkt keine Gedanken darüber gemacht.« Er rieb sich mit der Hand über das Gesicht. »Sie vermuten also, dass er es war, der Ihre drei Männer in der Tooley Street umgebracht hat, hm?«
»Ja«, sagte Lanyon leise. »Das glaube ich. Ich danke Ihnen, Sie waren äußerst hilfreich. Nun muss ich herausfinden, wohin der Prahm zurückgefahren ist, wem er gehört und was mit dem anderen Mann geschah. Irgendjemand muss ihn doch wieder flussaufwärts gesteuert haben.«
»Hab ihn nicht zurückkommen sehen. Aber vielleicht war ich da ja auch schon zu Hause.«
Lanyon lächelte. »Wir werden jetzt auch zurückfahren, wenn es Ihnen recht ist. Ich habe nicht den Wunsch, in Bugsy’s Marshes auszusteigen. Es sieht abstoßend aus.«
Der Fährmann grinste, obwohl sein Gesicht immer noch blass war und seine Hände die Ruder umklammerten.
»Hab ich doch gesagt.«
»Nur noch eine Frage«, sagte Monk, als sich der Mann in die Ruder stemmte, um das Boot zu wenden. Die Tide begann in die andere Richtung zu fließen, und plötzlich musste er seine ganze Körperkraft einsetzen. Monk konnte das Ziehen in den Muskeln fast spüren, als er ihn beobachtete.
»Und die wäre?«
»Sahen Sie irgendein Anzeichen von einer Frau… einem jungen Mädchen? Sie könnte sich möglicherweise sogar als Junge verkleidet haben?«
Der Fährmann war erschrocken. »Eine Frau? Nein, eine Frau hab ich auf einem der Flusskähne noch nie gesehen! Was sollte eine Frau auch hier draußen zu schaffen haben?«
»Sie könnte als Geisel mitgeführt worden sein. Oder sie kam aus freien Stücken mit, um weiter unten auf dem Fluss ein seegängiges Schiff zu besteigen.«
»Nein, ich hab keine gesehen. Aber, ich meine, diese Kähne haben so ’ne Art Kabine. Sie hätte ja dort unten sein können… Gott beschütze sie. Wünschte, ich hätte es gewusst. Dann hätte ich irgendwas unternommen!« Er schüttelte den Kopf. »Es gibt schließlich auch noch die Flusspolizei!« Sein Gesichtsausdruck verriet jedoch, dass diese Institution sein letzter Ausweg gewesen wäre, nur in Zeiten der höchsten Not würde er seine eigenen Prinzipien über Bord geworfen und bei ihr Hilfe gesucht haben.
Lanyon zuckte sorgenvoll die Achseln.
Monk sagte nichts, sondern lehnte sich während der Rückfahrt nach Blackwall und in die City in seinem Sitz zurück. In der Stadt würde er Mrs. Alberton berichten müssen, dass Breeland entkommen war und dass niemand, weder er und Lanyon noch irgendjemand anderes etwas dagegen unternehmen konnte.
Am frühen Abend erreichte Monk den Tavistock Square. Er war nicht überrascht, Casbolt dort anzutreffen. In Wahrheit war er sogar erleichtert, denn es war einfacher, ihm die nackten Tatsachen, wie er sie zu berichten hatte, zu unterbreiten, da seine Gefühle unmöglich so intensiv und sein Gram nicht so schrecklich sein konnten wie der Judiths.
Monk wurde sogleich in den Salon geführt. Casbolt stand vor dem leeren Kamin, der im Moment mit einer zarten Tapisserie abgedeckt war. Er sah blass aus, und es schien ihn große Mühe zu kosten, Haltung zu bewahren. Judith Alberton stand am Fenster, als ob ihr Blick auf den Rosen hinter dem Glas geruht hätte, aber sie wandte sich augenblicklich um, als Monk eintrat. Die Hoffnung in ihren Augen erregte sein Mitleid, aber auch Schuldgefühle, da er nichts tun konnte, um zu helfen. Er brachte keine Nachrichten, die Trost versprochen hätten.
Die Atmosphäre schien elektrisch aufgeladen zu sein, als ob selbst die Luft im Zimmer auf den Donner wartete.
Sie starrte ihm entgegen, als ob sie aus seinem Gesicht ablesen wollte, was er sagen würde, und sich gegen den Schmerz wappnen wollte, und doch konnte sie noch nicht alle Hoffnung aufgeben.
Er räusperte sich. »Sie luden die Gewehre auf einen Lastkahn und brachten sie damit bis Greenwich. Dort muss ein Schiff auf sie
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