In den Fängen der Macht
wünschten, denn oft war er nur deshalb anwesend, weil er in einer Sache ermittelte, die ihnen kürzlich Schwierigkeiten bereitet hatte und es aller Wahrscheinlichkeit nach immer noch tat. Verbrechen brachte nicht nur Angst, schmerzlichen Verlust und unweigerlich auch Misstrauen mit sich, sondern es riss auch meist die ehrbare Maske von dem ruhigen Leben, die jedermann über alle Arten kleinerer Sünden und Schwächen zu legen pflegte.
»Robert!«, rief Judith eindringlich. »Ich finde, du bittest Mr. Monk, uns von anderer Menschen Tragödien zu erzählen.«
Mit großen Augen und nicht im Mindesten verstimmt, sah Casbolt über den Tisch. »Oh, wirklich? Wie peinlich! Wie kann ich das verhindern? Ich würde wahrhaftig gerne etwas über Mr. Monks faszinierende Betätigung erfahren.« Er lächelte immer noch, aber in seiner Stimme lag Entschlossenheit. Er rückte ein wenig vom Tisch ab und griff nach einer kleinen Traube mit etwa einem Dutzend Beeren. »Erzählen Sie, verwenden Sie viel Zeit mit der Aufklärung von Diebstählen, verschwundenen Juwelen und dergleichen?«
Dies war ein weit sichereres Thema als Gewehre oder Sklaverei. Monk bemerkte aufflackerndes Interesse in Judiths Gesicht, trotz ihres Bewusstseins, dass das Thema möglicherweise nicht eines war, das man in einer auf Diskretion bedachten Gesellschaft erörtert hätte.
Auch Daniel Alberton schien erleichtert. Seine Finger hörten auf, das Obstmesser, das sie hielten, hin und her zu drehen.
»Mrs. Monk sagt, dass ihr Engagement in Ihren Fällen die Erregung, das Grauen und die Verantwortung ersetzte, die sie auf dem Schlachtfeld verspürte«, fuhr Casbolt unverzüglich fort. »Es kann sich also nicht lediglich um Angelegenheiten handeln wie das verlorene Salzfässchen oder die verschwundene Großnichte von Lady Soundso wieder zu finden.«
Alle warteten darauf, Monk würde ihnen etwas Dramatisches und Unterhaltsames erzählen, was rein gar nichts mit ihrem eigenen Leben oder den Spannungen, die zwischen ihnen herrschten, zu tun hatte. Sogar Hester blickte ihn lächelnd an.
»Nein«, nickte er und griff nach einem Pfirsich, »solche Fälle gibt es natürlich manches Mal, aber sehr oft fällt mir ein Mordfall zu, anstatt der Polizei –«
»Gütiger Himmel!«, rief Judith unwillkürlich.
»Warum?«
»Für gewöhnlich, weil die Polizei den falschen Täter verdächtigt«, erwiderte Monk.
»Ihrer eigenen Meinung nach?«, warf Casbolt schnell ein.
Monk suchte seinen Blick. In Casbolts Stimme lag Herausforderung, aber sein Blick war aufrichtig, direkt und hochintelligent. Monk war sicher, seine Bemerkung war nicht im Geringsten gedankenlos gemeint, sondern er wollte die vorherige Peinlichkeit zwischen Breeland und Trace übertünchen.
»Ja, meiner Meinung nach«, antwortete Monk mit dem Ernst, den er für angemessen hielt. »Zuweilen erlag ich gravierenden Täuschungen, aber stets nur für kurze Zeit. Einmal war ich von der Unschuld eines berühmten Mannes überzeugt und arbeitete sehr hart daran, dies zu beweisen, nur um am Ende entdecken zu müssen, dass er eine grässliche Schuld auf sich geladen hatte.«
Merrit wollte kein Interesse zeigen, doch schließlich konnte sie nicht anders. »Konnten Sie Ihren Irrtum wieder gutmachen? Was passierte mit dem Mann?«, fragte sie und vergaß die Trauben auf ihrem Teller.
»Er wurde gehängt«, entgegnete Monk freudlos.
Sie starrte ihn an, und über ihre Augen legte sich ein Schatten. Irgendetwas an seinem Verhalten verstand sie nicht; es waren nicht seine Worte, sondern seine Gefühle.
»Waren Sie denn nicht froh darüber?«
Wie sollte er ihr seinen Zorn über den Tod der Frau erklären, die ermordet worden war, und dass die Rache, denn mehr war die Strangulation nicht, nichts besser machte? Gerechtigkeit, wie sie das Gesetz interpretierte, war nötig, aber sie brachte keine Freude mit sich. Er betrachtete die weichen Linien ihres Gesichtes: Sie war kaum der Pausbäckigkeit der Kindheit entwachsen und sich so sicher, die richtige Meinung über den amerikanischen Krieg zu haben, und ihre Züge brannten vor Empörung, Liebe und verzehrendem Idealismus.
»Nein«, sagte er in dem Bedürfnis, ehrlich zu sich selbst zu sein, ob sie es nun verstand oder nicht. »Ich bin zufrieden, dass die Wahrheit ans Licht kam. Ich bin zufrieden, dass er für sein Verbrechen zur Rechenschaft gezogen wurde, aber ich bedauerte seine Vernichtung. Er war ein kluger Mann, äußerst talentiert, aber seine Arroganz war
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