In den Fängen der Macht
wenn man Zinkbadewannen oder Rüben verkauft, wage ich zu behaupten, dass jemand auf deiner Schwelle auftaucht und erklärt, dass dein Begehren dem Auskommen eines anderen gegenüber ungerecht und nachteilig sein könnte. Aber Waffen fachen die Gemüter heftiger an, als es andere Dinge tun, und scheinen zahlreiche Veränderungen menschlicher Schicksale zur Folge zu haben, die man nicht vorhersehen kann.«
»Meinen Sie wirklich?«, fragte Hester. »Ich hätte gedacht, wenigstens Regierungen sollten die Wahrscheinlichkeit von Kriegen vorhersehen, lange bevor sie unvermeidbar werden.«
»Oh, für gewöhnlich ja, aber es gibt Zeiten, in denen ein Krieg aus dem Nichts entsteht«, erwiderte Judith. »Natürlich verfolgt mein Mann, ebenso wie Mr. Casbolt, den Lauf des Weltgeschehens sehr genau. Dennoch gibt es Ereignisse, die jedermann überraschen. Der dritte chinesische Krieg gerade letztes Jahr war ein perfektes Beispiel dafür.«
Hester verfügte über keinerlei Kenntnisse darüber, und dies musste klar in ihrem Gesicht zu lesen gewesen sein.
Judith lachte. »Er war Teil der Opiumkriege, die wir immer wieder mit den Chinesen führen, aber dieser kam für jedermann überraschend. Am absurdesten war es jedoch, als der zweite chinesische Krieg begann. Ganz offenbar gab es einen Schoner namens Arrow, der von den Chinesen erbaut worden war und sich in deren Besitz befand, obwohl er einst in British Hong Kong registriert gewesen war. Sei es wie es sei, die chinesischen Behörden enterten die Arrow und verhafteten einen Teil der Mannschaft, die auch aus Chinesen bestand. England beschloss, dies als Affront zu werten –«
»Was?«, sagte Hester erstaunt. »Ich meine… entschuldigen Sie bitte?«
»Sie haben Recht«, fuhr Judith verbittert fort. »Wir nahmen Anstoß und dies zum Anlass, einen kleinen Krieg anzuzetteln. Die Franzosen entdeckten, dass ein paar Monate vorher ein französischer Missionar von den Chinesen exekutiert worden war, und schlossen sich uns an. Als der Krieg zu Ende war, wurden einige Verträge unterzeichnet, und wir hielten es für sicher, unsere Geschäfte mit China wieder aufzunehmen, als wäre nichts geschehen.« Sie zog eine Grimasse. »Dann brach recht unerwartet der dritte chinesische Krieg aus.«
»Hat er Auswirkungen auf den Waffenhandel?«, fragte Hester.
»Sicherlich doch nur zum Vorteil, wenigstens für die Engländer?«
Judith schüttelte leicht den Kopf. »Hängt davon ab, an wen man verkaufte. In diesem Fall nicht, wenn man an die Chinesen verkaufte, mit denen wir soeben eine Phase guter Beziehungen durchleben.«
»Ah, ich verstehe.«
»Dann sollten wir doch überhaupt etwas vorsichtiger sein, an wen wir Waffen verkaufen?«, warf Merrit hitzig ein. »Statt sie immer nur dem höchsten Bieter zu geben!«
Einen Moment lang sah es so aus, als wollte Judith sich auf eine Diskussion einlassen, dann entschied sie sich dagegen. Hester kam zu der Auffassung, dass ihre Gastgeberin diesen Diskurs schon in verschiedensten Variationen geführt haben musste, ohne dass es ihr je gelungen wäre, bei Merrit eine Meinungsänderung herbeizuführen. Es war keinesfalls Hesters Sache, und sie hätte es besser auf sich beruhen lassen, doch der Impuls, den Monk so oft als eigenmächtig und starrsinnig bezeichnete, zwang die Worte auf ihre Lippen.
»Wem sollten wir denn Waffen verkaufen?«, fragte sie mit vordergründiger Offenheit. »Außer natürlich den Anhängern der Union in Amerika?«
Merrit war unempfänglich für Sarkasmus. Sie war zu idealistisch, um Mäßigung in einem Diskurs zu akzeptieren.
»Wo keine Unterdrückung im Spiel ist«, gab sie ohne zu zögern zurück. »Wo Menschen um ihre Freiheit kämpfen.«
»Wem hätten Sie sie dann in den Indianeraufständen verkauft?«
Merrit starrte sie an.
»Den Indianern«, antwortete Hester an ihrer Stelle.
»Aber wenn Sie gesehen hätten, was sie den Siedlern angetan hatten, wie sie Frauen und Kinder massakriert hatten, dann wären Sie vermutlich unsicher geworden. Ich bin es jedenfalls.«
Plötzlich wirkte Merrit sehr jung. Das Gaslicht auf ihren Wangen betonte die sanfte, fast kindliche Rundung und das blonde Haar, das sich im Nacken lockte.
Hester spürte, wie sie eine Welle der Zärtlichkeit für das Mädchen überflutete, und erinnerte sich, wie hitzig sie selbst in dem Alter gewesen war, wie sie darauf gebrannt hatte, die Welt zu verbessern, in der Überzeugung, zu wissen wie, ohne auch nur die leiseste Ahnung gehabt zu haben von den
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