In den finsteren Wäldern (German Edition)
umher.
Ein Geräusch hinter ihm ließ ihn zusammenzucken. Jäh wirbelte er herum. Die Mündung seines Gewehrs schwebte nur Zentimeter vor Nealas Bauch.
Einen Moment lang wirkte sie zu Tode verängstigt. Dann trat ein Lächeln in ihre Züge. »Nicht schießen«, bat sie.
»Käme mir nie in den Sinn. Wieso bist du auf?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Da drin ist es zu heiß.«
»Hier draußen ist es noch heißer.«
»Aber hier bist du. Was machst du?«
»Ich suche nach einem Ausweg.«
»Schon Glück gehabt?«
»Noch nicht.«
Sie blickte mit zusammengekniffenen Augen über das Feld. Nasse Haare klebten an ihrer Stirn. Ihr Gesicht war verschwitzt. In den winzigen, feuchten Flecken unter ihren Augen glitzerte das Sonnenlicht. Ein Tropfen rann auf ihren Mundwinkel zu. Sie leckte ihn weg, dann trocknete sie sich das Gesicht mit der Vorderseite ihrer Bluse, die sie anschließend offen hängen ließ.
»Warum kommen sie nicht?«, fragte sie.
»Ich bin nicht sicher. Ich denke, wir könnten uns auf heiligem Gebiet oder so befinden. Sie bleiben immer am Rand der Kreuze stehen.«
»Das hätte ich auch getan, wenn ich die Wahl gehabt hätte.«
»Bei ihnen ist es mehr als Ekel. Es muss so sein. Die Krulls reißen Menschen Gliedmaßen aus, ohne mit der Wimper zu zucken. Es muss einen verdammt guten Grund geben, weshalb sie draußen bleiben.«
»Zum Beispiel, wenn das ihre Ahnen wären?«
»Ja.«
»Das wäre schön für uns.«
»Ja, nur ...«
Neala nickte. Sie lehnte sich an die Wand und steckte die Daumen in die Taschen ihrer Kordhose. Ihr Hals, ihre Brust und ihr Bauch glänzten vor Schweiß.
»Was machen wir?«, fragte sie.
»Jedenfalls können wir nicht ewig hierbleiben.«
»Versuchen wir auszubrechen?«
»Ich schätze, das werden wir wohl müssen. Wir warten, bis es dunkel geworden ist, dann schleichen wir uns raus. In diese Richtung, würde ich sagen. Dort hinten stehen die Kreuze nicht ganz so dicht beisammen. Wenn es uns gelingt, durchzukriechen, ohne eines umzuwerfen ...«
»Alles klar bei euch?«, ertönte Sherris Stimme.
Neala zog rasch ihre Bluse zusammen und steckte sie vorne in die Hose. »Ja«, rief sie zurück.
Sherri kam um die Ecke. »Was geht ab?«
»Wir«, gab Neala zurück.
»Vielleicht warten sie genau darauf.«
»Wir planen gerade, heute Nacht von hier zu verschwinden.«
»Und wie wollen wir das anstellen?«
Robbins erklärte es ihr. Während er redete, bemerkte er, dass Sherri zu den Köpfen schaute. Sie starrte sie an, schien tief in düstere Gedanken versunken zu sein. »Mir ist klar, dass es nicht einfach wird«, sagte er. »Ich will auch nicht da raus. Aber wir können nicht einfach hierbleiben.«
»Ich denke, ich tu’s trotzdem«, erwiderte Sherri. Sie versuchte zu lachen. Es klang eher wie ein Schluchzen.
»So schlimm wird es nicht werden«, meldete sich Neala zu Wort.
»Es wird beschissen grauenhaft werden«, widersprach Sherri. »Trotzdem besser als hier rumzuhocken.«
»Wir brechen auf, sobald es dunkel ist«, sagte Robbins.
Sherri nickte. »Dann können wir uns ja noch auf den ganzen Tag freuen.«
Kapitel 25
Ein Mann betrat die Hütte. Ein alter, schlanker Mann. Er sprach etwas, und die Kreatur huschte von Cordie weg.
»Ich bin Grar«, stellte er sich vor. »Unser Gefährte hier heißt Heth. Wie ist dein Name?«
»Cordie.«
Der Mann näherte sich auf Händen und Knien; zum Stehen war die Hütte zu niedrig. Er trug einen Schurz aus Haaren, die auf den Boden hingen, als er kroch. Der Schurz bestand aus verschiedensten Farben: braun, rot, blond und rabenschwarz.
Er setzte sich vor Cordie und überkreuzte die Beine.
»Du bist eine derjenigen, die gestern Nacht von den Bäumen geflüchtet sind.«
»Ja.«
»Ich habe gehört, dass du eine von uns werden möchtest.«
»Ja.«
»Warum?«
Handelte es sich um eine Fangfrage? Cordie konnte keine Böswilligkeit in Grars Augen erkennen. »Damit ich nicht getötet werde«, antwortete sie.
»Sich uns anzuschließen, ist keine Gewähr dafür. Wir haben viele Feinde.«
Sie nickte.
»Entsetzt dich unsere Lebensweise?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wir leben abseits der Zivilisation, die du kennst. Wir verabscheuen sie. Schon unsere Väter und Vorväter haben sie verabscheut.«
»Warum?«, erkundigte sie sich und hoffte, die Frage würde ihn nicht verärgern.
»Gesetze. Regeln. Sie sind uns verhasst, so wie sie unserem Gründervater verhasst waren. Er flüchtete in diese Region der Wälder, um den Gesetzen der
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