In den Häusern der Barbaren
der große Garten der Lujáns mit hundert Menschen gefüllt. Alle kauten Schweinefleisch, dessen Saft sich auf Papptellern sammelte und Erinnerungen an die sommerlichen Barbecuefeste weckte, die in mexikanischen Provinzstädten zwischen den Pavillons und Steinkirchen gefeiert worden waren. Araceli fiel auf, dass sie deutlich besser gekleidet waren als die sommerlichen Partygäste im Haus der Torres-Thompsons. Sie waren alle Einwanderer, mit Mr Luján durch Verwandtschaft, Heirat oder Geschäft verbunden, einige waren compadres von Mr und Mrs Luján. Diese Leute hatten den formellen Charakter von Familienfesten in ihrer Heimat nicht vergessen, die Männer trugen die frisch gebügelten Hemden in die Jeans gesteckt und dazu polierte Schlangenlederstiefel, die Frauen hatten auffälligen Schmuck angelegt, fuhren ihren Söhnen mit feuchten Kämmen durchs Haar, strafften die Strähnen ihrer Töchter zu Knoten, Zöpfen, Pferdeschwänzen, die zusammengehalten wurden von Spangen mit Schmetterlingen und Blumen. Die Männer trugen neue Gürtelschnallen zur Schau, mit mexikanischen Flaggen darauf oder Städtenamen wie Jalisco oder Durango, die Frauen liefen in neu gekauften Jeans oder gestärkten Kleidern herum, deren weite Glockenröcke an die US-Mode der Eisenhower-Zeit erinnerten.
Neben dieser Gruppe älterer, hauptsächlich in Mexiko geborener Gäste gab es einen jüngeren Kreis, der vorwiegend Englisch und Spanglish sprach, Teenager und entspannte Zwanzigjährige, für die guter Geschmack Understatement und ironische Aneignung vergangener Moden bedeutete. Sie trugen Porkpie-Hüte und Baseballcaps, Röhrenjeans und Leinenturnschuhe, lila T-Shirts aus erstklassiger Baumwolle und kitschige Ketten aus falschem Gold. Einige hatten Baseballtrikots an, die so weit geschnitten waren wie Umhänge, dazu kurze Hosen und weiße Kniestrümpfe, wie sie ein dämlicher Kleinstadtfamilienvater aus dem Mittelwesten hätte tragen können; die bestrumpften Füße steckten in Ledersandalen. Diesen Stil nannte Lucía gern »Retro-Sommer-Gangster-Casual«. Auch was ihre Ambitionen anging, trugen die jungen Leute nicht zu dick auf, die meisten hatten gerade einen Job im Einzelhandel angetreten und einen Schreibkurs in der Abendschule belegt, oder sie fuhren quer durch die Metropole zu den überfüllten Parkplätzen und trugen sich in die Wartelisten der unterfinanzierten staatlichen Universitäten ein.
Beide Gruppen, die Jungen wie die Alten, schauten mit unterschiedlich ausgeprägtem Respekt oder Neid auf Mr Luján und seine Tochter Lucía. Die älteren Gäste traten in Mr Lujáns Haus und fanden seine ritterliche Einrichtung geschmackvoll und elegant, und Lucía mit ihrer berühmten Universität strahlte eine glanzvolle Besonderheit aus, die sie ganz krank vor Sorge um ihren eigenen Nachwuchs machte, weil der womöglich nicht ganz so fleißig und engagiert war. Unter ihren jungen Freunden wurde Lucía bewundert, geschätzt und beargwöhnt, weil sie weiter von Huntington Park weggezogen war als sonst jemand aus ihrer Bekanntschaft und weil sie von diesem fernen, reichen Ort zurückgekehrt war und nun unter den Stromkabeln stand und Bier trank, als wäre sie immer noch ein gewöhnliches Huntington-Park-Mädchen. Was sie natürlich nie wieder sein würde.
Inmitten all dieser Menschen, jung oder alt, in Mexiko oder Kalifornien geboren, fiel die Anwesenheit der beiden Jungen aus dem Orange County nicht weiter auf. Brandon und Keenan tauchten problemlos in das Umfeld der meist englischsprachigen Kinder ein, und nur wenige Eltern bemerkten ihre langen Boheme-Locken oder wie locker sie barfüßig und mit ungeschnittenen Zehennägeln im Garten herumsprangen. Aber schon nach wenigen Minuten konnte niemand mehr die paisana übersehen, mit ihrer germanischen Körpergröße und den bronzenen Sommersprossen, gekleidet wie eine Forschungsreisende mit ihrem Sonnenhut – Araceli stellte sie alle vor ein Rätsel. Sie war zu alt und nicht modisch genug, um eine von Lucías Freundinnen zu sein, und gleichzeitig war sie zu jung und nicht formell genug gekleidet, um zu den compadres des Hauses zu gehören.
»¿A quién llevas en la camisa?« , fragte Araceli einen von Lucía Lujáns männlichen Freunden und wechselte ins Englische, als er sie anscheinend nicht verstand. »Auf deinem Hemd. Ese hombre. Sieht aus wie Jesus, aber er raucht. Y tengo entendido que Jesucristo Nuestro Señor no fumaba. Jesus raucht nicht.«
Griselda Pulido, seit Ewigkeiten Lucías
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