In den Häusern der Barbaren
und die ganze Schule ist von Streifenwagen und Polizisten umstellt, alles ›abgeriegelt‹, wie sie das nennen. Mein Sohn ist in der Sechsten, und ob ihr’s glaubt oder nicht, einer aus seiner Klasse ist mit einem Messer über die Gänge gerannt. Ich glaube, er hat einem Lehrer damit ins Bein gestochen.«
»Qué barbaridad.«
»Was in diesen Schulen so vor sich geht!«
»Mein Sohn ist auch in der Sechsten, und er kann immer noch das Einmaleins erst bis drei«, sagte einer der Väter. »›Wie viel ist sechs mal acht?‹, frage ich ihn neulich, und er guckt mich ganz verdattert an. ›Was bringen sie euch da eigentlich bei?‹, frage ich also, und er sagt: ›Weiß nicht.‹ In meinem pueblo damals haben wir das schon in der zweiten Klasse gelernt.«
»Was soll man da machen?«, fragte eine Mutter.
»Ihr solltet zum Lehrer gehen und euch beschweren«, warf Lucía Luján auf Englisch ein, die auf der Suche nach einem Teller Essen in den Kreis getreten war. »Ihr solltet dem Lehrer auf die Füße treten und fragen: ›Was ist mit dem Einmaleins?‹ «
»¿Podemos hacer eso?«
»Natürlich kann man das. So läuft das in diesem Land. Die Eltern von den weißen Kindern machen das die ganze Zeit. Die behandeln jeden Lehrer wie einen Arbeiter.«
»Tiene razón« , stimmte Araceli zu. »La señora Maureen, mi jefa, siempre esta peleando con los maestros.«
»Aber wenn wir hingehen, dann nehmen sie uns nicht ernst«, sagte eine Mutter direkt zu Lucía. »Du gehst ins Sekretariat, und da erzählen sie dir: ›Was wollen Sie denn hier? Gehen Sie. Wir haben zu tun.‹«
Alle schwiegen, jung und alt, in Mexiko oder den USA geboren, und dachten über den Verrat des Schulsystems nach, über die Stahlgitter vor jedem Fenster, die Überwachungskameras in den Fluren, die vielen Warnschilder, die Schülern wie Erwachsenen galten, und einige ließen den Blick sehr verlegen zu den Jungen und Mädchen schweifen, für die sie verantwortlich waren. Die Kinder rannten und hüpften im Garten herum, jedes ein strahlendes Zukunftsversprechen und jedes arm und hoffnungslos. Schreie von Jungen und Mädchen erfüllten die lastende Stille, schwer von Schmerz und Ohnmacht und einem unbestimmten Arbeitertrotz, der sich in Worten nicht ausdrücken ließ.
Araceli brach die Sprachlosigkeit plötzlich und sagte, dass die Kinder, die sie betreute, anscheinend eine erstklassige Schulbildung bekämen.
»Wo kommen sie denn her?«
»Los Laguna Rancho Estates . Por la playa. En los cerros.«
»Da unten sind die öffentlichen Schulen bestimmt richtig gut«, sagte Lucía Luján.
»No van a la esuela pública« , sagte Araceli. »Privatschule. Todo pagado. Y muy caro. Sehr teuer. Ich sehe die Rechnungen.«
»Wie viel?«, fragte Lucía rasch nach.
Araceli sprach die Zahl langsam und deutlich auf Spanisch aus, ließ die mathematische Obszönität über den versammelten hart arbeitenden und trotzdem finanziell klammen Steuerzahlern und Stipendiatsstudenten schweben, als wäre es ein blendend heller falscher Sonnenschein. Zwei oder drei Leute schnappten nach Luft, doch Lucía Luján zog nur leicht überrascht die Brauen hoch – das Schulgeld für die beiden Jungen zusammen war ein bisschen mehr als ihre Studiengebühren in Princeton, wenn man sämtliche Beihilfen einrechnete.
»Imposible« , sagte einer aus dem Elternkreis.
»Estás loca« , sagte ein anderer.
»No sea chismosa. Por favor.«
Es war absurd, und plötzlich waren alle außer Lucía wütend auf Araceli, weil sie eine solche Zahl genannt hatte. Hätten sie diese Summe für bare Münze genommen, wäre augenblicklich ihr bescheidenes Gefühl, etwas erreicht zu haben, in sich zusammengebrochen, sie hätten einsehen müssen, wie winzig ihre Errungenschaften im Vergleich zu echtem amerikanischen Erfolg und Wohlstand waren. Die compadres mit ihren Kindern in der Konfessionsschule glaubten, Spitzenbeträge zu zahlen, dabei war es nur ein kleiner Bruchteil dessen, was Araceli gerade enthüllt hatte.
»Es lo que cuesta« , beharrte Araceli. Sie erklärte, sie habe sich nicht extra bemüht, diese erschreckende Summe in Erfahrung zu bringen, sondern ihre Arbeitgeber seien einfach unglaublich nachlässig mit ihrem Papierkram und ließen ständig Briefe und Rechnungen herumliegen. Und wenn eine so ungeheuere Summe Dollars sie in der Küche anschrie, dann musste selbst eine sonst so zurückhaltende Haushälterin wie Araceli hinsehen.
»Du bist also ziemlich sicher, was die Summe angeht?«,
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