Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
Vom Netzwerk:
fragte Lucía.
    »Claro que sí« , sagte Araceli.
    »No« , beharrte einer der Freunde. »Estás confundida.«
    Ich bin vielleicht bloß Haushälterin und chilanga, wollte Araceli sagen, aber ein bisschen Englisch und Mathe kann ich schon, und ich weiß, was Punkte und Kommas und Dollarzeichen bedeuten. Doch stattdessen schaute sie ihr Publikum nur lange an und schüttelte dann mit abschätzigem Schnauben den Kopf. Lucía erkannte die heftige intellektuelle Herablassung darin sofort wieder. Als die Freunde des Hauses und Lucía sich entfernten, konnte die amüsiert zurückbleibende Araceli endlich richtig in ihre carnitas beißen, die tatsächlich sehr saftig waren. Sie sah sich nach den Jungen um, entdeckte sie und beschloss, sie wieder zu vergessen, denn hier im großen Garten waren sie in Sicherheit.
    Brandon und Keenan rannten mit den Kindern des Luján-Clans im Garten herum. Sie hatten zugesehen, wie die Männer mit den Schaufeln die Erde zur Seite räumten, sie hatten das in Alufolie gewickelte Fleisch und schließlich ein paar heiße Steine gesehen, und endlich war Brandon beruhigt gewesen, dass ihm keine Gefahr mehr vom Feuer unter der Erde drohte, allerdings war die Luft um ihn herum nun erfüllt von Funkenregen, Böllern und anderen Explosionen. Salomóns Bruder Pedro hatte drei große Kisten verschiedener Handfeuerwerkskörper aus Tijuana mitgebracht, und damit spielten die Kinder jetzt. Am beliebtesten waren kleine Silberkugeln, die in Funken zerbarsten, wenn man sie auf den Betonboden der Terrasse schleuderte.
    »Hab dich erwischt! Hab dich erwischt!«, schrie ein Mädchen, als einer ihrer »Feuersteine« vor Keenans Füßen explodierte. Keenan reagierte, indem er einen auf sie warf und lachte, als sie aufquiekte.
    »Sei vorsichtig!«, rief Brandon seinem Bruder und allen anderen in Hörweite zu, doch es hörte niemand hin. Ein Junge zündete Knaller an und warf sie in die jetzt leere Schweinegrube, und kein Erwachsener hinderte ihn daran. Schießpulver kitzelte Brandon in der Nase, Papier und Pappe von den Böllern lagen auf Terrasse und Rasen verstreut, andere Jungen zündeten Stäbe an, die Feuer sprühten und dabei pfiffen, sie hielten sie zu dicht an die Augen, sie hörten nicht mal damit auf, als Brandon auf Spanisch »¡Cuidado!« rief. Er schaute sich nach Araceli um, doch die war wieder zu der Gruppe Erwachsener gestoßen, die mit bloßen Zähnen das Fleisch des vergrabenen Schweins zerrissen. Zum ersten Mal, seit sie den Paseo Linda Bonita verlassen hatten, fühlte Brandon sich wirklich allein und verängstigt. Die Explosionen der Böller stachen ihm ins Trommelfell, auch die Hunde in der Nachbarschaft litten und schickten ein Heulen und Bellen in den Nachthimmel, sie flehten die Menschen an, die Waffen ruhen zu lassen. Ein Kriegsspiel, bei dem alle Geräusche dem eigenen Mund oder der Phantasie entstammten, das war etwas ganz anderes, als mitten im Pulverdampf zu stehen. Jetzt hörte er eine mächtige Explosion, spürte den Schlag auf der Brust, vernahm dann das Echo des Knalls. »Ein Kanonenschlag!«, schrie ein Junge, und Brandon fragte sich, wieso sich niemand im Garten duckte, wenn hier offensichtlich Artilleriegeschütze aufgefahren wurden.
    Ein Lichtblitz am Horizont fiel ihm ins Auge, und als er sich umdrehte, sah er am Himmel drei wachsende Lichtblumen – wie Löwenzahn –, Sekunden später folgte der gedämpfte Knall ferner Kanonen.
    »¡Es el Feuerwerk de la ciudad!« , rief jemand, während mehr Löwenzahn erblühte und die fernen Hochspannungsleitungen und ihre Masten erleuchtete. »Das Feuerwerk der Stadt!«, sagte jemand anderes, und jetzt drehten sich alle um und sahen zu, wie weitere Lichtexplosionen folgten – manche sahen aus wie fliegende Untertassen, grün und rot und gelb, manche ließen Lichtfäden herabhängen wie Quallen, andere wanden sich wie Schlangen durch die Luft, und schließlich ging eine große Himmelskugel auf, blieb über den Masten und dem Viertel hängen und entlockte den Menschen in Lujáns Garten viele Oohs und Aahs.
    Der Planet fiel vom Himmel, und die Explosionen hörten auf. Zehn, zwanzig, dreißig Sekunden lang schauten Erwachsene und Kinder zum leeren Himmel hinauf und warteten auf den nächsten Lichtschauer. Doch sie sahen nur eine große Qualmwolke, die langsam ostwärts trieb wie ein weißer Rorschachfleck vor dem dunklen Himmel. Von Anfang bis Ende hatte die dreiundsechzigste Feuerwerksdarbietung von Huntington Park genau vier Minuten und

Weitere Kostenlose Bücher