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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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ich mag es nicht, wenn man mich anlügt.«
    »Und wie lange arbeiten Sie schon beim Jugendamt?«, fragte Detective Harkness.
    »Das ist unser Job, Garza«, sagte Detective Blake. »Wir kommen irgendwohin, und die Leute lügen uns an. Dann erwischen wir sie bei den dicksten Lügen und machen ihnen ein schlechtes Gewissen, und dann fangen sie an zu heulen und tischen uns kleinere Lügen auf.«
    »Ich kann es nicht leiden, wenn die Leute lügen und mich damit früh aus dem Bett schmeißen«, sagte Olivia Garza. »Und noch weniger kann ich es leiden, wenn ich an den ganzen Kameras vorbeilaufen muss und vorher keine Zeit hatte, um mich zu schminken.«
    »Wollen Sie damit sagen, Sie können noch besser aussehen als jetzt?« Beide Detectives glucksten vergnügt. »Sie sind ja witzig, Garza.«
    Olivia Garza nahm ihre schlechte Laune mit ins Wohnzimmer, lehnte einen Sitzplatz auf der Couch oder am Esstisch ab und beschloss, stattdessen weiter bewusst unverschämt auf und ab zu laufen. Nachdem Scott ein weiteres Mal ohne große Überzeugung die Geschichte vorgetragen hatte, die Maureen zu Beginn der Notruftelefonistin erzählt hatte, sprach sie die Eltern zum ersten Mal an.
    »Wie viel zahlen Sie dieser Frau?«
    »Zweihundertfünfzig Dollar die Woche«, sagte Scott.
    »Schwarz. Stimmt’s?«
    Es kam keine Antwort, aber Olivia Garza fragte weiter. »Lassen Sie Ihre Kinder oft mit ihr allein?«
    »Nein.« Maureen brach ihr langes Schweigen. »Haben wir noch nie. Bisher. Wir hatten jemand anderen …«
    »Sie haben sie noch nie mit den Kindern allein gelassen, und dann fahren Sie zwei Tage weg und lassen die beiden Jungen bei ihr?«
    »Das haben Sie uns doch erzählt«, sagte der Vertreter der Staatsanwaltschaft, der im rechten Winkel zu Maureen auf dem Sofa saß.
    Olivia ließ das Schweigen im Raum stehen und für sich sprechen. Die beiden Detectives taten seit einer Stunde mehr oder weniger das Gleiche: Sie gingen die Geschichte bis zu dem Punkt durch, wo sie unglaubwürdig wurde, und dann wichen sie wieder zurück, weil der Staatsanwalt sich neben Scott und Maureen setzte und die Detectives mit seinen unterstützenden Worten für die angeblichen Opfer von weiteren Fragen abhielt. Olivia Garza und die Detectives fragten sich gleichzeitig: Was haben diese Leute zu verbergen? Irgendwas Kleines und Unbedeutendes, dachte sich Olivia Garza. Irgendeine familiäre Peinlichkeit oder ein kleines Vergehen. Wahrscheinlich hätten sie und die Detectives die Wahrheit aus dem Paar herauskitzeln können, wäre da nicht der Vertreter der Staatsanwaltschaft gewesen, der sich gerade über die Stelle beugte, wo der Couchtisch gestanden hatte. Er war auffällig overdressed mit seinem glänzenden Sharkskin-Anzug von Brooks Brothers, und er schaute Maureen und Scott konzentriert an. Seine Kleidung und sein Verhalten ließen an einen unternehmerisch ausgerichteten katholischen Priester denken.
    Ian Goller stand in der Hierarchie der Bezirksstaatsanwaltschaft an dritter Stelle, sein offizieller Titel war Senior Assistant District Attorney for Operations , doch inoffiziell war er der Problemlöser und Protegé des Bezirksstaatsanwalts. Goller hatte das Kriseninterventionsteam für gefährdete Kinder heute um fünf Uhr fünfundzwanzig mobilisiert, nachdem er sich mit seinem morgendlichen Kaffee vors Frühstücksfernsehen gesetzt und die Gesichter der Jungen neben den Worten ORANGE COUNTY – VERMISSTE KINDER gesehen hatte. Ian Goller war achtunddreißig und lebte wie Olivia Garza allein, allerdings in einer viel großzügigeren Wohnung mit Blick auf den Hafen von Newport Beach. Er hatte den Fernseher lauter gestellt und die Geschichte in groben Zügen gehört, und nach zwei tiefen Atemzügen und zwei Herzschlägen hatte er gespürt, was für eine Welle allgemeiner Empörung diese Sache möglicherweise auslösen könnte. Ein Kindermädchen, sehr wahrscheinlich illegal eingewandert, setzte sich mit zwei Kindern aus Orange County ab, die typisch amerikanisch aussahen. Das würde die anständigen Bürger und Wähler von Orange County wütender machen als ein Dutzend mexikanischer Gangmorde oder zwanzig gemeingefährliche Trunkenheitsfahrten mit spanischen Nachnamen und ohne Führerschein. Es handelte sich um genau die Art von öffentlichkeitswirksamem Fall, für den das Interventionsteam ins Leben gerufen worden war.
    Ian Goller war im Orange County geboren, in Fullerton, und er erzählte den Leuten gern, dass in seiner ansonsten unscheinbaren Heimatstadt

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