In den Häusern der Barbaren
schneller zurückbringen und der Frau vom Jugendamt die mürrische Maske vom Gesicht zaubern; sie war außer Maureen zumindest die einzige Frau im Raum und die einzige der Fremden, die ein Gespür für die verborgene und jugendlich unreife Kette von Ereignissen zu besitzen schien, die sie alle hier versammelt hatte.
Maureen wollte gerade zu ihrem Geständnis ansetzen, als das Telefon klingelte.
Araceli spazierte ohne Hast durchs Viertel, vorbei an alternden Vorgartenkakteen und blühenden Rosenbüschen, an den ungestrichenen grauen Mörtelwänden neuer Giebeldachhäuser, aus denen Kabel für die Außenbeleuchtung baumelten. Vorbei an Pick-ups mit aufgemalten goldenen Flügeln an den Seiten, an dreifarbigen Pick-ups mit unpassenden Türen und Motorhauben, an Pick-ups in den Farben mexikanischer Fußballmannschaften, und dann zwängte sie sich zwischen zwei weiteren Pick-ups hindurch und überquerte die California Street. Trotz ihres gemächlichen Tempos schien es ihr ratsam, nicht geradeaus zu laufen, sondern in weiten Zickzacklinien, vor allem weil jetzt ein Hubschrauber über ihr auftauchte.
Der Helikopter zerhackte die Luft über dem Haus der Familie Luján wie ein Rasenmäher, und man brauchte nicht viel Phantasie für die Schlussfolgerung, dass die Polizei gerade dabei war, Brandon und Keenan zu »retten«. Araceli staunte, die Polizei in diesem Land konnte so schnell aus dem leeren Himmel auftauchen, dass man in der Zeit zu Fuß gerade mal fünf Straßen weiter kam. Jetzt würde die Polizei die beiden ins Zimmer der tausend Wunder zurückbringen, zu den zweidimensionalen Superhelden ihrer Bettwäsche. Der Hubschrauber war so laut, dass er ein paar Leute an die Haustüren lockte, weil sie sehen wollten, wonach gesucht wurde.
Die Maschine flog konzentrische Kreise um das Haus der Lujáns, und schließlich tauchten die kreisenden Rotorblätter und die grüne Kabine über Aracelis Kopf auf, eine riesige mechanische Libelle, deren flatterndes Brüllen Dringlichkeit und Krise verkündete. Immer mehr Leute traten aus ihren Häusern und legten die Köpfe in den Nacken, und Araceli ging ein bisschen schneller. Ein Auto lenkte die Blicke der Nachbarn wieder auf den Boden: Ein Streifenwagen der Huntington Park Police raste mit übertriebener Entschlossenheit vorbei. Araceli blieb stehen und sah den blinkenden Lichtern nach, bis das Auto am Ende des Blocks die Kreuzung überquerte und auf der anderen Seite wieder energisch Gas gab, und sie dachte: Sie wollen mich aufschrecken. Sie denken, wenn sie hier durchrauschen, renne ich los und verrate mich.
Sie ging weiter, hatte jedoch die Aufmerksamkeit schon allein dadurch auf sich gezogen, dass sie kurz stehen geblieben war und sich umgesehen hatte.
»Hey, das ist sie!«, rief ein Jugendlicher, der hinter ihr auf dem Bürgersteig stand. Sie ging weiter, ohne sich umzudrehen. »Das ist die Frau aus dem Fernsehen!«
Araceli machte noch ein paar Schritte, bis eine weitere Stimme aus einem Hauseingang schrie: »¡La secuestradora!« Sie drehte sich um und sah eine Frau mit Grübchen, die von ihrer Betonveranda aus auf sie zeigte. Sie wirkte so begeistert wie jemand, der unter dem Überzug eines Rubbelloses einen Zwanzig-Dollar-Gewinn freilegt. Araceli stolperte weiter, ging schneller, ebenso verängstigt von den Gaffern um sie herum wie vom Gedanken, dass man sie der Polizei ausliefern könnte. »¡Es ella! La vi en canal 52. ¿A donde vas?« Sie begann zu laufen, weil sie hoffte, in Sicherheit zu sein, sobald sie um die nächste Ecke bog, weg von diesem griechischen Chor aus Fernsehzuschauern, die alle glaubten, sie sei die secuestradora aus den Nachrichtenbildern, die niederträchtige Kindesentführerin.
»¡Correle!« , rief ein Mann mit einem Enthusiasmus, den er sonst fürs Pferderennen und Viehtreiben reservierte.
»¿Y los niños?« , flehte eine Frauenstimme, als sie um die Ecke bog. Araceli hätte sich am liebsten umgedreht und gesagt: Ich habe sie nicht; ich habe sie auch nie haben wollen. Sie kam auf eine Straße, in der flache Bungalows parallel aufgereiht nebeneinanderstanden wie Güterwaggons. Die Vorgärten waren von der Dürre in gesichtslose Staubflächen verwandelt worden. Weihnachtslichterketten hingen an den Vordächern, und die Bewohner hockten drinnen gebannt vor ihren Fernsehern, vermutete Araceli, und starrten das verschwommene Foto von der Entführerin an. Eine Straße weiter stand sie plötzlich unter einem ungeheuren Skelett aus verzinkten Stahl:
Weitere Kostenlose Bücher