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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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entwirren, und sich damit von ihrem Posten der Fallbetreuerin im Jugendamt von Santa Ana allmählich hocharbeiten können. Sie hatte 127 Kinder zu betreuen, deren Eltern hohläugige Heroinsüchtige waren, streitsüchtige Klempner, Möchtegern-Gangsterbosse oder Chicana-Versionen von Scarlett O’Hara, die zwischen zwei Ladendiebstählen in einer Wohnsiedlung in Fullerton auf ihren tätowierten Helden warteten, damit er ihnen die Tür vor der Nase zuschlagen konnte. Olivia Garza durchschaute die Schauergeschichten, die Mütter und Väter sich im Rahmen eines Sorgerechtskampfes über ihren Expartner ausdachten, sie hatte an Mangelernährung sterbende Babys aus ihren Bettchen oder von den klebrigen Fußböden gewisser Wohnungen in Santa Ana gerettet, und ebenso hatte sie die dreizehnjährigen Söhne von Filmstars aus Newport Beach in Crackhöhlen in Anaheim gestellt: de todo un poco.
    Olivia Garza glaubte nicht, dass sich ein mexikanisches Kindermädchen mit zwei Schutzbefohlenen im Alter der Torres-Thompson-Kinder auf ein Entführungsabenteuer einlassen würde. Oder vielmehr hatte sie noch keine Fakten präsentiert bekommen, die sie an ein so unwahrscheinliches Szenario glauben lassen könnten. Was sollte die Frau mit den Kindern denn anfangen? Sie in Tijuana verkaufen? Sie zu ihren eigenen Kindern machen, ihnen Spanisch beibringen und sie in einem kleinen Bergdorf aufziehen? Den anderen Mitgliedern des Interventionsteams hatte sie von ihren Gedanken nichts verraten. Das brauchte sie auch gar nicht, da die beiden ermittelnden Detectives zum gleichen Schluss gekommen waren, auch wenn sie sich sehr bemühten, der weinenden Mutter und dem sich sorgenden Vater Respekt zu erweisen.
    Nachdem sie vom Vater die Grundzüge der Geschichte erfahren hatte, war Olivia Garza durchs Haus geschlendert. Zu sauber, stellte sie fest, zu perfekt. Sie schaute ins Zimmer der tausend Wunder und war nicht beeindruckt. Zu viel Spielzeug bedeutete Distanz, die Eltern ersetzten Nähe durch Dinge, auch wenn die vielen Bücher und ihre große Bandbreite wiederum vielversprechend wirkten. Olivia Garza nahm ein paar Bücher zur Hand, untersuchte die eselsohrigen Seiten eines Romans und den abgegriffenen Umschlag eines Bildbandes über Ritterrüstungen. Diese Kinder werden vor Tagesablauf wieder auftauchen , entschied sie. Die Mitglieder von Olivia Garzas Eliteeinheit waren vorschnell hier zusammengerufen worden, weil die Familie im Viertel mit dem höchsten Pro-Kopf-Einkommen des ganzen Bezirks wohnte und weil die fotogenen Jungen die draußen versammelten Fernsehteams angelockt hatten. Manches ist so offensichtlich, dass man es einfach wie einen Schleimbrocken ausspucken möchte.
    Sie traf die beiden Detectives vor dem Wohnzimmerfenster wieder, das auf den Kakteengarten hinausging.
    »Sollte ich mir hier noch irgendwas anschauen?«
    »Haben Sie das Zimmer des Kindermädchens schon gesehen? So ein kleines Häuschen im Garten.«
    Sie gingen ins Gästehaus, das, ehrlich gesagt, auch nicht viel kleiner war als die Eigentumswohnung in Laguna Beach, in der die kinderlose Olivia Garza mit ihren beiden Katzen lebte. Einer der Detectives tippte das Vogelmobile an, das sich drehte und wippte.
    »Interessant«, sagte Olivia Garza.
    »Kunst«, sagte Detective Harkness.
    »Ja, so nennt man das wohl«, sagte Detective Blake.
    »Das hat den zuerst gerufenen Deputy ganz verrückt gemacht«, sagte Detective Harkness und wedelte mit der Hand in Richtung der Skulptur und der Zeichnungen und Collagen, die ihn kein bisschen störten.
    Das Interventionsteam war kurz vor Morgengrauen aus den Betten geholt worden, und im vollen Licht des Vormittags gewann der Fall eine Klarheit, die den ersten Alarmierten in der Nacht noch entgangen war.
    »Meine Theorie: Das Kindermädchen ist mit ihnen nach Disneyland, und auf dem Rückweg hat sie sich verfranst oder verspätet«, sagte Detective Blake.
    »Ja, wahrscheinlich schlafen sie irgendwo in einem Hotel und träumen von dem vielen Apfelkuchen, den es gestern zum Abendessen gab«, ergänzte Detective Harkness.
    »Nachdem wir uns in allen Punkten einig sind«, sagte Detective Blake, »sage ich voraus, dass sie zur Mittagszeit auftauchen.«
    »Nee, früher«, widersprach Detective Harkness. »Zehn, halb elf, spätestens Viertel vor elf.«
    »Was meinen Sie, Garza?«
    Sie schaute sich im Zimmer um, schob die Papiere und Umschläge auf Aracelis Schreibtisch hin und her und sagte schließlich: »Diese Eltern haben mich angelogen. Und

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