In den Häusern der Barbaren
früher auch der Science-Fiction-Autor Philip K. Dick gelebt habe. »Sie wissen schon, Blade Runner ?« Ansonsten hatte Fullerton seines Wissens nichts Großes hervorgebracht, abgesehen von einem dauerhaft hervorragenden College-Baseballteam. Goller selbst hatte an der San Diego State University studiert und dann an der mittelmäßigen Chapman University School of Law seinen juristischen Abschluss gemacht. In der Staatsanwaltschaft machte er im Gegensatz zu vielen seiner Kollegen Überstunden und arbeitete sich rasch vom Verkehrsgericht nach oben. Sein Aufstieg wurde durch ein paar Eigenheiten gefördert, die ihn als Einheimischen des Orange County auswiesen, zumal auch der Bezirksstaatsanwalt selbst aus OC stammte. Goller ließ sein blondes Haar immer noch bis auf den Kragen wachsen, trug ein aus Leder geflochtenes hawaiianisches Surferarmband über der Hemdmanschette und hatte in seiner Jugend mit einer Karriere als Profisurfer geliebäugelt – was ihm im California Lawyer vor Kurzem ein Porträt als »der surfende Strafverfolger« eingetragen hatte.
Jetzt saß er mit den beiden Eltern in ihrem schön eingerichteten Wohnzimmer in den Laguna Rancho Estates und sah sofort, dies war eine Orange-County-Mutter, die sich kümmerte. Er spürte es an der staubfreien Luft, am gesunden Geruch des nahen Meeres, an den Babywörterbüchern und den reichlich benutzten Schaukeln, an der Art, wie sie ihrer Tochter den Rücken streichelte, als wollte sie das Kind trösten, wo sie doch eigentlich sich selbst tröstete. Wenn er über das Schicksal der beiden Jungen nachdachte, die von dieser Mutter in die Obhut eines mexikanischen Kindermädchens gegeben worden waren, dann sah er alles, was am Beruf des Staatsanwalts so befriedigend und so frustrierend war.
Kinder zu schützen und ihre Misshandlungen zu verfolgen war das Reinste, was man als Jurist tun konnte: Die Opfer waren ohne Sünde, die Angeklagten waren durch die Bank offensichtlicher Abschaum und wurden von den Geschworenen mit großem Genuss und Gusto verurteilt. Im kupfergetönten Gesicht und der Nationalität der Verdächtigen sah er die Mathematik der Masse, die ihn eines Tages ganz aus Amt und Beruf treiben würde: Es war einfach nicht zu ertragen, dass naive lateinamerikanische Einwanderer wie Araceli seine Gerichtssäle füllten. Das war eine schmerzhafte Erkenntnis für den Sohn einer alten Demokratenfamilie, doch er hatte sie aus jahrelanger Beobachtung gewonnen, und zwar trotz seiner standhaft liberalen Haltung zu den meisten anderen Fragen wie etwa dem Abtreibungsrecht oder dem Schutz der Feuchtgebiete. Sein übergeordnetes Wissen um die vielen Ausländer, die seine Terminpläne bei den Berufungsgerichten, seine Zielvorgaben und Ergebnistabellen verstopften, dazu die vorherrschende opferzentrierte Kultur in der Staatsanwaltschaft, all das beeinflusste Ian Gollers Sicht des Falles entschieden zu Maureens Gunsten – trotz ihrer nervösen und nicht ganz einheitlichen Darstellung der Ereignisse.
Ian Goller dachte an die Kinder dieser Frau, an andere Kinder, die er nicht hatte retten können, und er neigte sein Haupt zum stummen, persönlichen Gebet.
Als Maureen sah, wie der Staatsanwalt plötzlich und ohne Erklärung den Kopf senkte und die Hände faltete, überkam sie noch größere Furcht. Sie verstand die Ursache seines intensiven Blickkontakts nicht und auch nicht die offensichtliche Verärgerung der massigen Frau vom Jugendamt. Das sind die Leute, die Eltern ihre Kinder wegnehmen. Vor allem dieser übergewichtigen Frau mit dem mexikanischen Namen, mit ihrer großen Nase und der rötlichen Haut, einer seltsamen Mischung aus indianisch und afrikanisch, mit ihrem Plastikausweis, auf dem das Siegel des Bezirks prangte, jagte ihr fast so viel Angst ein wie die Vorstellung, dass Brandon und Keenan irgendwo in der Stadt herumliefen. Maureen erwog die Möglichkeit, dass die Polizei ihre Kinder finden, Aracelis wahre und vollkommen plausible Geschichte glauben und dann beschließen würde, ihr die Kinder wegzunehmen. Vielleicht sollte ich ihnen jetzt erzählen, was wirklich passiert ist: dass es nicht zwei, sondern vier Tage waren und dass Araceli keine Ahnung hatte, dass wir wegfahren. In welche Schwierigkeiten hatte sie ihre Familie mit dieser kleinen Lüge gebracht? Maureen beschloss, die ganze Komplexität der Situation zu erläutern, sie wollte erklären, welche Rolle sie und Scott dabei gespielt hatten. Vielleicht würde diese kleine Wahrheit ihr die Kinder
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