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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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sind die Dinge tatsächlich so, wie sie scheinen«, ergänzte Olivia Garza. »Wir sollten es am besten als zehn-vierzig abhaken und nach Hause gehen.«
    »Nein, das kann ich nicht tun«, widersprach der Staatsanwalt und reckte das Kinn vor, woraufhin alle in den Himmel schauten und die ersten dunklen, ultramarinblauen Schlieren entdeckten. Während sie hier unten debattierten, hatten sich zwei TV -Helikopter mit wummernden Motoren über das Grundstück geschoben. »Die Hubschrauber sind extra für die Jungen vom Waldbrand abgezogen worden«, sagte Goller, »das Ganze hat riesige Ausmaße angenommen. Vermutlich sind wir gerade live im Fernsehen zu sehen, landesweit.« Der Staatsanwalt hielt kurz inne, damit das Kriseninterventionsteam sich die Bedeutung der am Himmel kreisenden Helikopter vergegenwärtigen konnte. »Wir stehen gerade in allen amerikanischen Wohnzimmern«, sagte er. »Aus diesem Grund sollten wir besonders umsichtig agieren.«
    Sie steckten mitten in jenem spektakulären Szenario, das Goller sich in den frühen Morgenstunden in seiner Eigentumswohnung ausgemalt hatte, als Brandons und Keenans Gesichter zum ersten Mal im Fernsehen gezeigt worden waren. Er ahnte, unter was für einen Druck sie alle geraten würden.
    »Wenn Sie unbedingt wollen, können Sie die Verdächtige ja laufen lassen, Detective«, sagte Goller. »Möglicherweise müssen Sie sie in ein paar Tagen dann wieder einfangen.«
    Nachdem er seine Tochter auf die Stirn geküsst, seine beiden Söhne angesehen und umarmt und sich mit einem schnellen Blick und einer kurzen Unterhaltung davon überzeugt hatte, dass sie unverletzt waren, wich Scott unwillkürlich von den Kindern zurück. »Du hast uns gefehlt, Dad«, sagte Keenan, und diese simple Aussage trieb Scott Tränen in die Augen. Er drehte sich zu seiner Frau um, wollte einen Blick, einen Moment Verständnis und Vergebung, aber Maureen schaute demonstrativ weg. In erschrockenem Schweigen hörte er seine Frau immer wieder fragen: »Geht es euch gut? Alles in Ordnung?« Später dann, nachdem die Polizisten und Sozialarbeiter und die Psychologin sich allein mit Brandon und Keenan »unterhalten« hatten und er und Maureen die Kinder zum zweiten Mal in die Arme schließen konnten – eine kürzere, weniger emotionale Auflage des ersten Wiedersehens –, zog Scott sich vollständig zurück. Er überließ es seiner Frau, ihre Schuldgefühle zu bekämpfen, indem sie den Jungs und Samantha aus einem großen Bilderbuch vorlas. Um, wie Scott vermutete, den immer noch im Garten versammelten Polizisten und Sozialbehördenvertretern eine heile Familie vorzugaukeln. Scott sah, wie Brandon die Augen verdrehte; Das Marienkäfermädchen entsprach nicht gerade seiner Vorstellung von spannender Unterhaltung . Mein Sohn ist erst elf, aber schon ein intellektueller Snob . Schließlich trottete Scott ins Fernsehzimmer, dessen mit der Wand verkabelte Einrichtung eine gewissen Männlichkeit verströmte. Er griff mit pawlow’scher Gedankenlosigkeit zur Fernbedienung und zappte durch die Kanäle. Er merkte auf, als er eine Luftaufnahme von einem Gebäude am Ende einer Sackgasse sah, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Als er die Unterzeile las, »Vermisste Kinder gefunden«, wusste er, das war sein Haus. Er schätzte die Größe des halbmondförmigen Grundstücks ab und wie viel davon der Wüstengarten einnahm. Von oben, im dämmrigen Abendlicht, wirkte der Garten wie eine Herde kleiner, stacheliger Tiere, die von hohen Kakteenschäfern bewacht wurde. Er fand, dass der Garten in der Aufsicht ein geschmackvolles Arrangement von Kreisen und Linien bot, und da erst erwachte sein innerer Kommentator und rief: Verdammte Scheiße, über unserem Haus steht ein Hubschrauber!
    Noch bevor er aufstehen und aus dem Fenster nach dem Hubschrauber schauen konnte, wurde auf Bildmaterial von Scott geschnitten, wie er Stunden zuvor mit einem Polizisten an der Haustür stand, kurz nach dem Anruf von Brandon. Der Polizist klopfte ihm lachend auf die Schulter, und Scott vermutete, diese Aufnahmen sollten belegen, dass das Drama ein glückliches Ende genommen hatte. Und tatsächlich, Sekunden später wurden seine Söhne gezeigt, wie sie von einem Polizisten hastig über die Einfahrt zur Haustür begleitet wurden. Dann ein erneuter Umschnitt ins Studio zu der Frau mit den geblähten Nüstern. Ihr steifes, blondes Haar stand ihr fontänengleich vom Kopf ab, sie trug eine Halskette mit Goldmünzen und sprach mit einer Vehemenz in die

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