In den Häusern der Barbaren
Kamera, die Scott absolut unsexy fand. Plötzlich hielt sie inne, starrte wortlos geradeaus und nickte schließlich, was Scott zur Fernbedienung greifen und den Ton aufdrehen ließ. Die Moderatorin lauschte einer Anruferin mit ausgeprägtem New-England-Akzent.
»… und dann, liebe Nancy, sehe ich diese beiden süßen kleinen Jungen und frage mich, was hatte diese Mexikanerin mit ihnen vor? Was wollte sie mit ihnen anstellen? Das habe ich mich gefragt.«
»Sie sprechen aus, was wir alle denken«, sagte die blonde Moderatorin, woraufhin Scott sofort umschaltete, mit dem Erfolg, dass er nun Araceli auf dem Bildschirm sah. Sie wurde zu einem Streifenwagen geführt, die Handgelenke mit Plastikhandschellen gefesselt. Oh Gott, dachte Scott , was haben wir dieser armen Mexikanerin bloß angetan? Die nächste Einstellung trug die Unterzeile »Live aus Orange County, Kalifornien« und zeigte seine Hausangestellte (250 Dollar Wochengehalt) beim Verlassen einer Polizeiwache. Sie schlängelte sich zwischen den Betonpollern durch, die das Gebäude vor Terrorangriffen schützen sollten. »Die der Kindesentführung verdächtigte Araceli Noemi Ramirez wurde soeben aus der Haft entlassen. Polizeilichen Angaben zufolge …« Araceli entfernte sich von den Kameras und warf den lauernden Nachrichtensammlern denselben skeptischen, verärgerten Blick zu, mit dem sie Scott bedacht hatte, wenn er ihre Putensandwiches mit Ketchup bestrich. Sie hielt kurz inne, offenbar um eine der ihr zugerufenen Fragen aufzuschnappen, woraufhin die zitternde Kamera sie heranzoomte. Seine vergrößerte Hausangestellte waberte in der Bildmitte, drehte sich abrupt um und eilte mit langen, beschwingten Schritten davon, ein Anblick, der Scott an die gefälschten Videoaufnahmen von Bigfoot erinnerte, ein gefilmter Augenblick zwischen Realität und Simulation, so wie die Bilder von Turbanmann und Fernglasfrau, die Elysian Systems der Regierung verkauft hatte.
Scott schaltete erneut um, als hinter ihm Maureen im Türrahmen auftauchte.
»Scott. Die Polizei sagt, die Reporter vor dem Haus werden nicht abziehen«, sagte sie, und aus irgendeinem Grund erschreckte es ihn, direkt angesprochen zu werden. »Angeblich werden sie ausharren, bis wir einen Kommentar abgegeben haben.« Sie hatte seit zwei Tagen nicht geschlafen und baute merklich ab. Ihre Stimme klang fern und verträumt.
»Ich gehe raus und rede mit ihnen.«
»Nein, ich gehe mit. Du kannst nicht allein da raus.«
»Warum nicht?«
»Weil sie uns beide sehen wollen. Wir müssen zusammen auftreten. Um uns zu verteidigen.«
»Wie bitte?«
»Die Leute reden über uns. In der ganzen Stadt. Hast du das noch nicht mitbekommen? Eben hat Stephanie Goldman-Arbegast angerufen. Sie sind vom Flughafen in die Stadt gefahren und haben Radio gehört. Alle Welt redet über uns, über die Jungen und Araceli und dich und mich. Sie hat es eine Stunde lang gehört. Die Leute halten uns für schlechte Eltern. Wir müssen uns zeigen. Weil die Leute über uns reden. Warum hast du das noch nicht mitbekommen?«
Die Nachricht von der »Entführung« hatte sich auch auf Spanisch verbreitet, der Schwall der Worte kaum weniger umfassend als auf Englisch. Es hatte am Morgen angefangen, als ein beliebter Morgenshow-Moderator im Radio seine üblichen Zoten und Tiergeräusche ausgesetzt hatte, um mit gedämpfter, um eine Oktave gesenkter Stimme – seiner »Bürgerstimme« – laut über el caso nachzudenken. »Freunde«, sagte er auf Spanisch, »dieser Fall wird sich möglicherweise auf jeden Einzelnen von uns auswirken. Ich weiß ja nicht, was die Lady mit den Jungen vorhat, aber falls Sie mich hören, señora oder señorita : Bringen Sie die Kinder nach Hause! Wir dürfen nicht vergessen, dass unser Verhältnis zu diesen Menschen auf gegenseitigem Vertrauen beruht. Ich weiß, da draußen gibt es Tausende von nuestra gente , die sich um diese kleinen blonden, blauäugigen mocosos kümmern. Und falls nur einer von uns sich so danebenbenimmt, wie diese Lady es anscheinend getan hat, wird man uns allen das Leben schwermachen, das wisst ihr ganz genau!« Nach diesem Vortrag stieg die Anspannung in allen Küchen, in denen Lupe und María und Soledad gerade das Mittagessen kochten, und sie stieg noch weiter, als Lupe und María und Soledad die Nachrichten in einem der drei spanischsprachigen Fernsehsender der Stadt verfolgten und die fliehende Araceli sahen. Am Ende jenes 5. Juli strahlten die Böden vor Glanz, wurde das Essen mit mehr
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