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In den Häusern der Barbaren

In den Häusern der Barbaren

Titel: In den Häusern der Barbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Héctor Tobar
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Bächlein zog Krähen, Katzen und gelegentlich auch einen Schwarm verwilderter Papageien mit smaragdgrünen und safrangelben Federn an; und just in diesem Moment, als Janet sich an die prall aufgefüllte Rücklehne ihres Sofas sinken ließ, um die neuerliche Entlassung eines weiteren illegal eingewanderten, vermutlich kriminellen Subjekts in die amerikanische Freiheit zu verarbeiten, stieß einer der Papageien direkt hinter ihrem Gartenzaun einen lauten, menschenähnlichen Schrei aus.
    »Ach, halt die Klappe, du blöder Vogel.«
    Von dem verbrecherischen Kindermädchen Araceli Ramirez und den vielen anderen Mexikanern, die ihr auf die Pelle rückten, hielt Janet Bryson nicht viel mehr als von den wilden Papageien. So wie die spanischsprachigen Familien in der Nachbarschaft waren auch die Papageien Eindringlinge aus dem Süden. Mit ihrem prahlerisch exotischen Gefieder störten sie die graubraunen Hausspatzen und die schwarzen Krähen, für die die Landschaft hier eine natürliche Heimat war. Vor fünf Jahren hatte Jane den SPCA , den Sierra Club und den Audubon Club brieflich darüber informiert, wie empfindlich die natürlichen Zyklen und Lebensräume der Gegend gestört wurden, wenn diese Vögel sich auf Telefonleitungen versammelten und im Creek badeten. Audubon hatte sich mit einem höflichen Formschreiben zurückgemeldet, in dem grundsätzlich die Anwesenheit der »invasiven Art« beklagt, dann jedoch darauf hingewiesen wurde, wie kostspielig und aufwendig es wäre, die Tiere einzufangen. Übrigens handele es sich um sechs unterschiedliche Arten der Gattung Amazona .
    Die Mexikaner waren nach den Papageien gekommen. Auch früher schon hatte es welche gegeben, aber das waren höfliche, Englisch sprechende Leute gewesen, damals, als Janet Bryson frisch verheiratet gewesen war und mit ihrem Mann in diesem Haus gelebt hatte. Mit jenen Mexikanern, die eigentlich Amerikaner waren, ließ sich reden, und manchmal erkannte Janet sich sogar in ihnen wieder, wenn sie die Familienzusammenkünfte in den Einfahrten und Garagen beobachtete, das Alltagsleben, das sich um Automobile, Football und Feiertage drehte. An Thanksgiving kamen sämtliche Cousins und Großeltern zu Besuch, an Weihnachten wurden Lichterketten aufgehängt. Aber nach und nach trafen noch weitere spanischsprechende Einwanderer ein, unerbittlich füllte sich die Straße mit Ausländern aus einem fremden Land. Sie hatte an die Tür einer der ersten spanischsprechenden Familien angeklopft, kurz nach deren Zuzug, sie hatte Brownies angeboten, wie es sich unter Nachbarn gehört. Ein etwa dreißig Jahre alter Mann mit einem schwarzen Brillantineschopf hatte ihr die Tür geöffnet, offenbar verblüfft über die nette Geste, entzückt über den Anblick einer immer noch recht ansehnlichen Weißen auf seiner Veranda. Sekunden später war die Ehefrau des Mannes hinzugekommen, um Janet ein widerwilliges »Dankeschön« – oder vielmehr: »Dankessön« – und anschließend einen abschätzigen Blick von Kopf bis Fuß zuzuwerfen, nach dem Motto: Nein, dieser Schabracke wird mein Mann wohl kaum nachstellen. Jahre waren vergangen, und sie hatte ihren Teller immer noch nicht zurück! Janet Bryson hatte das Gedächtnis eines Elefanten, weswegen sie seit Jahren kein Wort mit ihrem Exmann gewechselt hatte, seit jenem Zwischenfall bei der Super-Bowl-Party, in den auch eine seiner zahlreichen Freundinnen verwickelt gewesen war. Wann immer neue Familien aus Mexiko eintrafen, musste Janet an den fehlenden Teller denken. Eine Familie in ihrer Straße hatte sogar die mexikanische Flagge in ihrem Vorgarten gehisst und dafür einen echten Flaggenmast aufgestellt, was definitiv den hiesigen Bauvorschriften widersprach.
    Die Papageien krächzten und hüpften durchs Wasser. Das Nahrungsangebot aus Orangen und Zitronen ließ sie prächtig gedeihen und sich vermehren; ihre plötzlichen Schreie und der morgendliche Chorgesang schreckten Mrs Bryson regelmäßig aus dem Schlaf, ebenso die Mexikaner, die um sechs oder sieben Uhr in der Früh die Gaspedale ihrer alten Autos durchtraten, um den Motor zum Laufen zu bringen. Die Papageien waren in Gruppen von etwa zwanzig Vögeln unterwegs, sie flogen in breiter Rautenformation, und auch die Mexikaner bewegten sich am liebsten in Gesellschaft; die Männer standen paarweise vor der geöffneten Motorhaube eines Autos herum, Frauen und Mädchen schleppten Töpfe durch die Gegend. Die Mexikaner schienen sich immerzu zu verschwören, wobei die Männer

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